Berlinale 2018 – Tag 1: Seenot und Familien-Bande

Wie jedes Jahr hofft man auf einen guten, verheißungsvollen Start. Diesmal fiel mir es jedoch etwas schwer, den ersten Festival-Tag zu füllen: Es wurden “nur” zwei Tickets. Doch es ging alles andere als langsam los, denn gleich die erste Vorstellung war ein Film, den ich unbedingt sehen wollte.

Styx (Deutschland/Österreich, Regie: Wolfgang Fischer)

Die hochprofessionelle Notärztin Rike (Susanne Wolff) tritt ihren lang ersehnten Traumurlaub an: allein auf sich gestellt mit einer Segelyacht von Gibraltar zur Insel Ascension im Atlantischen Ozean.

Kenntnisreiches Tagwerk an Deck (ich denke zwangsläufig -so lang ist das noch nicht her- an Robert Redford in “All is lost”), Entspannung in den Pausen, Blicke auf den Sonnenuntergang. Nach einem glücklich überstandenen Sturm, ist am nächsten Morgen ein Kutter in Blickweite, der nie für die hohe See gedacht war: ein hoffnungslos überfülltes Flüchtlings-Boot.

Dies wird noch die kleinste Herausforderung gewesen sein.

Rikes Notrufe an die Küstenwache werden Mal um Mal lapidar abgetan. Kann.. muss sie sich dem Boot nähern – oder riskiert sie dabei ihr eigenes Leben ? Bald darauf überschlagen sich die Ereignisse und zumindest die erste Entscheidung ist ihr abgenommen. Doch nicht die, wer leben und wer sterben wird.

Ich musste mich bald fragen, was man erwartet wenn man in einen Film mit dieser Thematik, mit diesem Dilemma-Potenzial zu gehen. Susanne Wolffs eindringles Spiel lässt die inneren Konflikte erahnen, Spätestens ab Mitte des Films hängt man mittendrin in dem Dilemma der No-Win-Situation. Bis zum bitteren Ende.

Nun könnte man sagen: Interessantes Gedanken-Experiment… doch die Realität im Mittel-und sonstigen Meeren ist alles andere als theoretisch.

Notiz am Rande: Die vielleicht umfangreichste Cast&Crew Vorstellung, die ich in knapp 10 Jahren erleben durfte. Wo sonst mal Kameramann oder Komponist mit auf die Bühne gerufen werden, tummelten sich hier vom Regisseur aufgerufen bald 3 Dutzend Leute. Als es dann -endlich bei den Schauspielern angekommen- hieß: “…der das Unfallopfer gespielt hat” (ca.10sec im Film), konnte ich ein Stöhnen gerade noch unterdrücken. Somit leider keine Zeit für Fragen mehr.

Wieża. Jasny dzień. [Tower. A bright day.] (Polen, Regie: Jagoda Szelc)

Ich gebe es zu: Aufgrund des Filmausschnittes und der Filmbeschreibung auf den Berlinale-Programmseiten hatte ich etwas a la Thomas Vinterbergs “Das Fest” aus der Dogma-Reihe erwartet. In der Tat hat die Handlung eine ähnliche Verdichtung, der Film eine ähnliches Setting: Eine Großfamilie kommt auf dem Lande anlässlich der Kommunion einer Tochter zusammen, wir sind immer hautnah an den Familien-Mitgliedern und ihrem lebhaften Palaver dran. (Später hören wir von der Regisseurin, dass das meiste auf sehr langer Proben-Arbeit basiert. Alle Achtung.)

Kaja, die Tante des Kommunion-Kindes Nina, ist seit langer Zeit wieder aufgetaucht und wird besonders von ihrer Schwester Mula argwöhnisch beäugt. Was und warum sie fort war – erfahren wir nicht. Wohl aber, dass es Familiengeheimnis ist, dass Nina in Wirklichkeit ihre Tochter ist und hier nicht alles im grünen Bereich ist. Misstrauen, Verhaltensregeln und baldige Anspannung liegen immer wieder in der Luft. Nachdem das Familientreiben in der Urlaubswoche zunächst manchmal eher mäandert, wird es immer abseitiger je näher der Fest-Sonntag rückt. Mysteriöse Phänomene, Verdachtsmomente – oder subjektive Phantasien der Beteiligten?

Regisseuin Jagoda Szelc legt in ihrem Regie-Debüt bewusst eine Vielzahl falscher Fährten. Es geht ihr, sagt sie im anschließenden Interview, darum unsere Kontrollsucht und deren Vergeblichkeit darzustellen. Der Film scheint gegen Ende fast zu entgleiten – und das ist auch gewollt. Die letzten Minuten, geradezu metaphysisch, können nur zu eigenen Antworten anregen. Der Film bleibt sie bewusst schuldig.

Wenn ich mal ehrlich bin, so habe ich mich bei manchem, später anerkannten Meisterwerk am Ende erst Mal am Kopf gekratzt. Es scheint -wie eben auch im Anschluss ausdrücklich betont- Jagoda Szelc zuallererst darum zu gehen, zum Denken anzuregen und eigene Interpretationen geradezu heraus zu fordern.

Keine leichte Kost, doch alles in allem ein guter Start dieses Berlinale Jahres. Und: gut, dass ich -vom Film (zugegeben) etwas frustriert, dennoch zum Q&A geblieben bin. Die Regisseurin redete sich fast schon manisch charmant um Kopf und Kragen (“..oh no, I DIDN’T ANSWER THE QUESTION, sorry!”).

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