Berlinale 2016, take9 – oder: Verbote und Vertrauen

Kann es einen größeren Gegensatz geben ? Am Vorabend ein Film, der ahnen lassen muss, dass selbst der Regisseur ihn nicht ernst nahm. Heute nun als erstes ein Film, der seinerzeit ein Land -in seinen kleinen Möglichkeiten- zum Besseren verändern wollte. Und dem selbst das versagt wurde.

Auch bei Fräulein Schmetterling (DDR)

ist die Verbotsgeschichte (fast) beeindruckender als der eigentliche Film: Die noch nicht ganz erwachsene Helene Raupe wohnt mit ihrer kleinen Schwester im Ostberlin des Jahres 1965. Den Tabakladen, den sie mit ihrem Vater geführt hatte muss sie nach seinem Tode aufgeben. Das Jugendamt will sie ins Berufsleben eingliedern “die paar Jahre bis zur Heirat”, die Betreuung soll eine Tante aus Potsdam übernehmen. Die sich allerdings bald verabschiedet. So schlagen sich Helene und Asta erstmal allein durch in Verkennung und Infrage-Stellung ihrer Umwelt. Die Jobs (Fischhändlerin, Mode-Verkäuferin, Busschaffnerin…) die ihr von staatlicher Seite aufgetragen werden, verkennen Helenes Neigungen und ihre Individualität.

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Helene hebt ab

Teils mit versteckter Kamera gedrehte, improvisierte Szenen lassen uns in Alltag und Straßenbild der DDR der 60er blicken. Helenes und Astas kleine Phantasie-Ausflüchte werden ebenfalls bildlich umgesetzt. Melania Jakubisková bezaubert geradezu als Helene Raupe in ihrer frischen, unverbrauchten Art. Auch oder gerade wenn sie -als ausgebildete Pantomimin- in unweltlich gestisch spielt.

Somit wirkt “Fräulein Schmetterling” über weiter Strecken wie ein charmanter Jugendfilm – kann jedoch nicht ganz zum offensichtlichen Vorbild des britischen “Free Cinema” oder der Nouvelle Vague der 60er aufschließen. Dass “Fräulein Schmetterling” niemals offziell aufgeführt wurde, hat jedoch andere Gründe, die uns DEFA-Stifungsvorstand Ralf Schenk ausführlich und anschaulich darlegte:

Nach dem Machtwechsel in der UdSSR zum Hardliner Leonid Breschnew fiel auch dieser Film in die Reihe der von der DDR-Führung zurück gezogenen, verstümmelten oder verbotenen und später so genannten Keller-Filme. Ein Schicksal, das er mit “Spur der Steine”, “Karla” und mehr als 20 weiteren DEFA Filmen der Jahre 65/66 teilte.

Eine junge Frau, die eigene Berufs-Vorstellungen hat statt funktioniern zu wollen, die Behörden nicht für voll nimmt und die lieber in ihrer geliebten Altbau-Wohnung bleiben will als in einen schönen Neubau – das galt quasi als Verrat am Sozialismus, war einfach kein wünschensvertes (Vor-)Bild der jungen Generation.

Einen Stummfilm habe ich auf der Berlinale noch nicht gesehen. Nunmehr aber einen fast stummen Film: Regisseur Kurt Barthel lehnte nämlich Jahrzehnte später ab, den fertig gedrehten Film doch noch zu Ende zu bringen. Die Archivare der DEFA-Stiftung fanden laut Ralf Schenk keinen Spielfilm, sondern “500 Filmbüchsen (..) mit Schnipseln”. Großteils war nicht mal eine Synchron-Tonspur erstellt worden oder es war nur Vor-Ort-Sound erhalten – inklusive Kamera-Rattern und Regie-Anweisungen. Da die heutige DEFA-Stiftung sich nicht anmaß, die eigentliche Vorstellung des Regisseurs zu kennen, entschied man sich das komplette Material anhand des Drehbuches hintereinander zu montieren. Quasi ein Rohschnitt oder eine Werkschau. Traurig, von teils jammervoller Bildqualität, aber sehr interessant.

Dass ein solcher, fast schon unschuldig-naiver Film 1966 eine ernsthafte Gefahr für den “real existierenden Sozialismus” sein sollte, zeigt wie es um das Land in jener Zeit bestellt war. Wie gefährlich Individualität und eigene Träume doch sein müssen.

Little Men (USA)

Nachdem Umzug seiner Familie in das vom Großvater geerbte Haus in Brooklyn, werden der 13jährige Jake und der gleichaltrige Tony Nachbarn. Tonys Mutter betreibt im Erdgeschoss ein leider schlecht laufendes Modegeschäft. So unterschiedlich die Jungs auch sind -Jake: introvertiert/zurückhaltend, Tony: impulsiv und direkt- werden sie doch bald beste Freunde. Dumm nur, dass Jakes Eltern aufgrund der schleppenden Schauspiel-Karriere des Vaters auf die Mieteinnahmen aus der Boutique angewiesen sind.

Tonys Mutter Leonor hatte von Jakes gutmütigem Großvater seit Jahrzehnten keine Mieterhöhung erhalten – nun wollen Jakes Eltern eine am boomenden, zum sich entwickelten In-Viertel orientierte Anpassung. Was mal eben einer Verdreifachung entspräche. Tonys Mutter stünde vor dem Ruin. Nach zuerst freundlichem Hin und Her ergibt sich zwischen den Eltern echter Zwist, in den sie leider ihre Söhne einbeziehen und denen den Umgang verbieten wollen.

Tony und Jake reagieren mit einem Streik: kein Wort mehr mit den Eltern. Wochenlang. Als die Zwangsräumung ansteht und die Kids ihr Schweigen brechen ist es zu spät. Werden sie sich jemals wieder sehen ?

Angesiedelt in der Berlinale-Kinder-Sektion ist der Film, wenn auch sehr unterhaltsam, kein Leichtgewicht – da er Kindern wie Erwachsenen einfach Antworten verweigert. In einer Schlüsselszene faucht der von Zweifeln geplagte Schauspieler-Vater die bockigen Jungs an, ob sie denn ahnen, dass Eltern ein paar mehr Problem und Sachzwänge hätten als sie sich in ihrem jugendlichen Idealismus vorstellen können… Und so ist es auch ein Film über das bevorstehende Ende der Kindheit, vom Einsehen dass mit dem Erwachsenwerden schwierige und manchmal traurige Entscheidungen anstehen.

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Ist ihre Freundschaft stärker als der Zwist der Eltern ?

Vielleicht ist er ja Shopping gegangen. Im Bezug zum Hintergrund des Filmes ein fast satirischer Kontrapunkt.

Kater (Österreich)

Stefan und Andreas leben seit Jahren gut situiert zusammen. Beide sind in einem Orchester beruflich erfolgreich, genießen ihre hingebungsvolle Beziehung und sind mit herzlichem Freundeskreis ausgestattet. Liebevoll bekochte Feste, sympathische Nachbarn …und in ihrer Mitte den von beiden geliebten Kater Moses. Wie aus heiterem Himmel bricht ein unerklärlicher und plötzlicher Gewaltakt Stefans all dies entzwei. Ihrem Umfeld gute Miene machend, leiden beide unter dem Erlebten. Wissen beide nicht, ob ihre Liebe noch eine Chance hat, ob für ein Zusammeleben erneut Vertrauen und Vertrautheit aufgebaut werden kann.

Es dauert einige Zeit, gefühlt die Hälfte des Filmes bis die Krise kommt, dafür aber umso existenzieller. Nicht nur Katzenfreunde müssen sich erstmal von diesem Schock erholen müssen. Doch Regisseur und gleichzeitig Drehbuch-Autor Klaus Händl wollte eine wirklich Leben in Frage stellende Krise. Wer ist das an meiner Seite ? Glaube ich ihn vielleicht nur zu kennen ? Wie weit kann ich ihm noch vertrauen ? Wie weit geht die Liebe ? Von der etwas langen Anlaufphase (die es jedoch braucht, um die Fallhöhe zu zeigen) abgesehe, punktet der Film auf der ganzen Linie. Das Skript, die Inszenierung einnehmend und nie überladen, immer auf das Wesentliche konzentriert, die Dialoge glaubhaft und treffend. Gefühlskino der besonderen Art, getragen von starken Hauptdarstellern. Bis in den letzten Akt hinein punktet “Kater”. 

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Ein häusliches Idyll das bald Geschichte ist

Der Film gewann übrigens am Vorabend den TEDDY Award der diesjährigen Berlinale – und Regisseur Händl war sichtlich aufgedreht-übernächtigt, gab dennoch im Q&A bereitwillig Auskunft. In der Tat basierte eine frühe Version des Drehbuches auf einem heterosexuellen Paar. Die Hauptdarsteller Turtur und Hochmair (beide hetero) überzeugten bereits früh im Casting mit einer stimmigen Chemie. Und der Kater (dem es gut geht) war Händls eigener… Kameramann Gerald Kerkletz erklärte, er könne Katzen jetzt besser leiden als zuvor – arbeiten würde er allerdings vor der Kamera nicht noch einmal. Auf gut 20 Drehtage folgten 10 Tage allein für die Tieraufnahmen.  

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