Berlinale 2017 – Tag 9: So kann es nicht weiter gehen

Kurz vor Ende dieses Marathons wird auch dem Festival Fan in mir klar, dass es bald gut gewesen ist. Und das ist auch ein passender Titel für diesen Tag: In allen drei Filmen geht es darum, die Verhältnisse zu ändern.

Política, manual de instrucciones (Spanien, Regie: Fernando León de Aranoa)

In Spanien hat sich aus der Unzufriedenheit über die “Sparpolitik” und die immer prekärer werdenden Verhältnisse innerhalb von gut 3 Jahren eine dritte ernst zu nehmende politische Kraft gebündelt. Die Partei “Podemos” (Wir können) sprach den Sozialdemokraten und den Konservativen Spaniens die Kompetenz ab – aus einem Gefühl heraus, dass es nur noch um Verwaltung des Status Quo ging statt um notwendigen Wandel.

Wir sind in dieser Doku über einen Zeitraum von gut einem Jahr bei Strategie-Meetings dabei, bei ersten Parteitagen, bei Treffen mit sympathisierenden Auslands-Politikern. Es wird diskutiert, wie man seine Position gegenüber dem Partei-Konkurrenten als auch gegenüber den Alt-Partein verkaufen kann, man muss sich erstmalig im TV präsentieren und Gegenparolen erwehren. Es gibt erstaunlichen Aufstieg und auch Rückschläge.

Dafür dass es auf, dazu auf spanisch (mit engl.Untertiteln), naturgemäß ungemein textlastig ist, bleibt man für die gut 2 Stunden trotzdem interessiert dran am Thema. Und wenn es auch vielleicht seltsam wirkt, dass die eigentliche Agenda, das Programm und die Positionen der Partei weitgehend ungenannt bleiben: Regisseur de Aranoa geht es eher darum, die aufregende Machbarkeit der Nutzung von demokratischen Mitteln zu zeigen.

Wohltuend zu sehen, dass es gelingen kann -selbst in einer festgefahrenen System- in relativ kurzer Zeit eine ernst zu nehmende neue Partei zu gründen und wachsen zu lassen – die wohlgemerkt an Solidarität appelliert statt nationalistische Parolen auszubeuten oder Fremdenhass zu schüren.

Strong Island (USA/Dänemark, Regie: Yance Ford)

Der Afro-Amerikaner William Ford, Bruder des Regisseurs, wurde 1992 wegen eines nichtigen Streites in einer Autowerkstatt erschossen. Der weiße Täter kam nicht einmal vor Gericht: die Ermittler hatten offenbar eine vorgefasste Meinung, die -ausnahmslos weiße- Geschworenen-Jury lehnte eine Anklage Erhebung schlichtweg ab. Rückblick: Fords Vater brachte die Familie von Brooklyn in den 60ern ins prosperierende Long Island, gerade um ihnen ein sichereres Zuhause zu geben. Doch selbst dort fand aufgrund von abgezirkelten Wohnvierteln eine quasi-Segregation statt. Über durch Off-Kommentare begleitete Familien-Fotos lernen wir die Geschichte der Familie kennen.

Langsam, sorgfältig und -wie er betont- ohne Zorn geht Ford in diesem Film den Quellen nach, führt dazu in den meisten Fällen Interviews mit Familienmitgliedern sowie Freunden des Opfers – aus weiter bestehender Abwehrhaltung kaum mit offiziell damit befasst Gewesenen. Sehr intensiv die Nahaufnahmen, wenn er -den Stand der Recherche beurteilend- direkt zu uns in die Kamera spricht. Und können mehr als erahnen, dass die Tat und ihr Ignorieren Fords Familienbande, wie er sagt, ebenfalls umgebracht hat.

Hostages (Russ.Föderation/Georgien/Polen, Regie: Rezo Gigineishvili)

Im damals noch zur UdSSR gehörenden Georgien beschließen 1983 ein knappes Dutzend Studenten, die Flucht in den Westen zu wagen. Zu eng und mit unerträglichen Einschränkungen scheint das Leben im Sowietreich. Der Zufall will es, dass sie die dafür geplante Charter-Maschine nicht für sich haben. Von der Verzweiflung getrieben, entscheiden sie sich die Entführung trotzdem durchzuziehen.

Das ganze nimmt ein blutiges Ende, die Überlebenden werden fast ausnehmlich zum Tode verurteilt. Soweit zu Ende erzählt, da der Film auf Tatsachen beruht. Trocken konstatiert eine Einblendung am Ende, dass ganze 8 Jahre später Reisefreiheit gegeben wurde – und die Eltern bis heute nicht wissen, wo ihre exekutierten Söhne liegen.

Dankenswerter Weise werden die Entführer nicht zu Helden stilisiert. Wir erfahren etwas wenig über ihren Antrieb, ihre Träume – dafür  wird in den Dialogen aber auch keine Rechtfertigung für ihre Bluttat gesucht. Als wir ihnen im Film begegnen, haben sie ihren Entschluss schon gefasst und sind dabei, ihn verschwörerisch konsequent und -immer mit Schulterblick nach dem Geheimdienst- umzusetzen.

Vielleicht ist es eine Stärke, dass es nicht ganz klar ist, welche Position der Regisseur vertritt. Trotzdem, durch die eindringliche Kameraführung und die darstellerischen Leistungen können wir wenigstens erahnen, was -so schändlich die Tat auch gewesen sein mag- in ihnen vorgegangen sein muss. Ein -wenn auch fiktives- Zeitdokument ist er allemal.

Erst beim Nachlesen entdecktes Fakt am Rande: Georgischer Präsident war dort damals Eduard Schewardnaze. Der Mann, der als Außenminister Russlands maßgeblich die deutsche Wiedervereinigung voran brachte…war Anno 1983 noch ein echter Scharfmacher. 

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