Berlinale 2018, Tag 3: Sinnestaumel, Vergangenheitsbewältigung und Reifeprüfung

für meine Verhältnisse sind 3 Filme mittlerweile ein ruhiger Berlinale Tag; vielleicht nach der gestrigen Tour de Force das richtige

Eva (Frankreich/Belgien, Regie: Benoit Jacquot)

“Amour fou” übersetzt sich nur schwer. Verrückte Liebe? Gefährliche Liebschaft? Nicht von ungefähr ist der Genrebegriff aus dem französischen ein Synonym in vielen Sprachen, seitdem er dort in den dreißiger Jahren zum ersten Mal benutzt wurde. 

Der “Eva” zugrunde liegende Roman allerdings ist allerdings aus der Feder des Briten James Hadley Chase und wurde bereits in den 60ern verfilmt (mir leider unbekannt).

Der junge Autor Bertrand betreut einen alten, ehemals berühmten britischen Schriftsteller. Dass Bertrands moralischer Kompass nicht ganz geeicht ist, merken wir schon zu Beginn. Zuerst zieht er in Erwägung für Geld den sexuellen Avancen des Greises nachzukommen. Als dieser kurz darauf dann einen Herzanfall erleidet unterlässt er jede Hilfe -und macht sich stattdessen mit dem letzten Manuskript des Vorbildes aus dem Staube Veröffentlicht es unter eigenem Namen, mit großem Erfolg.

Seine Verlobte und sein Lektor liegen ihm bald darauf in den Ohren, möglichst schnell neues zu schreiben. Doch Bertrand tut sich mangels Begabung mehr als schwer.

Der Zufall führt ihm die Edel-Prostituierte Eva über den Weg. So spröde sie sich gibt (als erstes schlägt sie ihn mit einem Aschenbecher nieder), hat er zusehends nichts besseres im Sinn als ihr nachzustellen. Mehr noch: Er hält seine Dialoge mit ihr für potenziellen Stoff seines nächsten Stückes…

Beim Roulette hätte er bessere Chancen als bei Eva

Wir brauchen hier nicht über die Relevanz des Stoffes zu debattieren – und ob die 99. Version einer fatalen Liebschaft noch neue Erkenntnisse bringt. Doch die Story ist schlüssig, die Charaktere überzeugend und Isabelle Huppert (Eva) und Gaspard Ulliel (Bertrand) haben eine Chemie. Man gibt sich der Faszination hin, wie wir uns -das Herz will, was es will- in der Liebe zum Narren machen.

Während ich dies schreibe, muss ich (ca. 800 Filmminuten in drei Tagen liegen hinter mir) in Erinnerung rufen wie es endete: Ah, richtig: Konsequent verzweifelt.

Waldheims Walzer (Österreich, Regie: Ruth Beckermann)

Kurt Waldheim war seit 1972 für zwei Amtszeiten Generalsekretär der Vereinten Nationen. Einige Jahre Im Jahre 1986 stellte ihn dann die Österreichische Volkspartei (ÖVP) für die Wahl zum Bundespräsidenten auf. Ein Amt, dass in der Alpenrepublik durchaus größeren Einfluss hat als in Deutschland.

Just zu dieser Zeit tauchten immer weitere Beweise für Waldheims Mittäterschaft während des 3.Reiches aus den Archiven auf. Es folgten Monate des unseligen Lavierens, Relativierens und Leugnens von Seiten Waldheims als auch der ÖVP.

So unselig der Wahlkampf als auch Waldheims Präsidentschaft war (er wurde in Amt faktisch von keinem einzigen Land jemals empfangen) – in Österreich setzte erstmals eine Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle zur Nazi-Zeit ein…nachdem man sich jahrzehntelang tunlichst in der bequemen Rolle als “Deutschlands erstes Opfer” gesehen hatte.

Der gewieften Dokumentarfilmerein Beckermann gelingt hier, rein aus Archiv-Material (zumeist TV Berichte und Interviews) eine dichte Chronologie der Ereignisse interessant zu montieren. Dass die Regisseurin seinerzeit zu den Protestierenden gehörte, authentifiziert es obendrein.

L’animale (Österreich, Regie: Katharina Mueckstein)

Mati steht wenige Wochen vor der Matura, der österreichischen Reifeprüfung vergleichbar mit unserem Abitur. Wie viele Teenager ist sie nicht zufrieden mit ihrem Aussehen und unsicher über ihre Berufs-und Lebenspläne. Ob sie wirklich die ländliche Provinz verlassen soll und in Wien studieren soll ? Lebensziel Übernahme der Tierarzt-Praxis ihrer Mutter?

Ihre Freizeit verbringt Mati Moto-Cross fahrend zumeist in einer reinen Jungen-Clique von Mitschülern. In ihrem toughen Auftreten dort voll akzeptiert wirkt sie auch optisch in diesen Szenen fasst wie ein Junge. Uns schwant etwas. Denn auch wenn sie sich mit ihrem besten Freund Sebastian sehr nahe steht…funken will es irgendwie nicht zwischen den beiden.

Annäherung der ganz langsamen Art

Bei einem Diskobesuch zettelt die betrunkene Grapscherei der Jungs einen handfesten Streit mit den anwesenden Mädchen an. Wobei Mati nicht etwa beschwichtigt oder gar ihre Geschlechtsgenossinnen verteidigt -sondern sich durch zusätzliche Handgreiflichkeit bei denen Feinde macht.

Doch bald darauf trifft sie in der Tierarzt-Praxis ihrer Mutter eines der Mädchen vom Vorabend, Carla, wieder. Waffenstillstand zuerst, Plauderei, bald vorsichtige Freundschaft. Oder mehr?

So langsam wird die Moto-Cross-Gang, geführt vom verschmähten Sebastian misstrauisch.

Meine komprimierte Zusammenfassung soll hier bitte nicht täuschen. Das ganze ist mit wunderbarem Timing organisch erzählt. Die Dramaturgie läuft so geschickt, dass wir immer mehr vergessen, einen Film zu sehen. (Was so alles geht, auch ohne gewollte jump cuts, abrupte Szenenführung.. siehe River’s Edge vom Vortag)

Die Eltern haben übrigens auch keine Antworten. Der liebevolle, homo-erotisch geneigte Vater hat nicht den Mut sein kleines Familienglück gegen ein Coming Out zu tauschen. Die Mutter ist ihm auf der Spur – und verzweifelt an der Ungewissheit, ob sie ihn halten kann und ihr dauerrenoviertes Haus irgendwann wieder zu einem Heim werden wird.

In einer Wendepunkt-Szene zitiert der Film übrigens fast schon dreist P.T. Andersons “Magnolia”: In Parallelmontage singen die auf den Hund gekommenen Hauptfiguren eines nachts jeder für sich zu Franco Battiatos titelgebender Ballade.

Doch zu dem Zeitpunkt sind wir bereits dem Charme des Films erlegen, haben wir sie alle mit all ihren Schwächen ins Herz geschlossen. Und schon Picasso sagte: Gute Künstler borgen, geniale klauen.

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