Berlinale 2019, Tag 5: Schmonzes, Scham und verschiedene Mütter

Man steckt einfach nicht drin. Auch wenn der Einlass für die 10Uhr Vorstellung im Haus der Berliner Festspiele zwar bereits abgeräumt war – die Hauptvorverkaufs-Schlange war nochmal länger als tags zuvor. Somit musste wegen Ausverkaufs ich am Schalter dann wegen Ausverkaufs zweier der eigentlich gewünschten Filme nochmal umdisponieren.

Aruna & Lidahnya (Indonesien, Regie: Edwin)

Leichte Kost war dann auch der Film: Doch auch wenn

Das Murmeltier grüßte: wiederum -trotz leichter Kost zuvor- schlug der Sandmann bei mir zu. Auch wenn mir in der ersten Filmhälfte einige Minuten fehlen, war dies hier auch filmisch leichte Kost, vielleicht zu leichte.

Ich zögere etwas, den quasi-Plot  durch eine Nacherzählung zu adeln. Nun denn:

Es geht um eine junge Wissenschaftlerin, die als Epidemiologin ausgeschickt wird, vereinzelte Fälle der Vogelgrippe in ihrem Heimatland, dem Viel-Inselstaat Indonesien zu begutachten. Als Food-Nerd nimmt sie ihren besten Freund, einen Koch mit – der braucht angeblich dringend Urlaub und eine kulinarische Road Tour lockt beide. Wie es die Story will, gesellen sich noch im Verlauf der Reise eine Freundin Arunas sowie der von ihr angehimmelte Kollege Farish hinzu. Die Fälle stellen sich als Hoax der Pharma-Industrie heraus, dafür gibt es auf dem Trip einige Rom-Com mäßige Verstrickungen.

(c) CJ Entertainment, Palari Films

So launig und solide das Ganze daher kommt – es bleibt an der Grenze zur Schmonzette. Inklusiv 10-Monate-später-alle-kochen-zusammen-und-haben-sich-gern Ende.

Das ist ja alles ganz nett – doch Festival-würdig? Die Entstehung des Filmes  ist wohl dem massiven Erfolg des zugrunde liegenden Romans zu “verdanken” –  und die Aufnahme in die Berlinale der Tatsache, dass der Film im weiten Sinne gut im Programm “Kulinarisches” präsentierbar war.

Ich überlegte dann, ob in Rückschau “Aruna” nicht zu den eher unwichtigen Filmes dieses Jahrgangs gehören wird.

Bulbul can sing (Indien, Regie: Rima Das)

Das Mädchen Bulbul wächst im assamesischen Hinterland auf, in einer von Landwirtschaft bestimmten Gegend Indiens fernab von Internet und YouTube. Sie verbringt fast jede freie Minute mit ihren besten Freunden selbstbewussten Bonny und dem Außenseiter-Jungen Suman. Sie sind in ihrer Freizeit unzertrennlich, selbst als die ersten aufkeimenden Liebesgefühle und Avancen der Angebeteten stehen dem nicht im Wege.

Ihr Vater, ambitionierter Amateur Musiker, hat große Pläne für das langsam aufblühende Mädchen. Bulbul soll Sängerin werden, doch ihre Stimme versagt, wenn sie vor anderen singen soll.

Als Bulbul und Bonny dabei erwischst werden, wie sie heimlich mit ihren Boyfriends zärtlich sind, ist es mit der Idylle vorbei. Nicht nur verprügelt werden sie von moralisierenden Dorfburschen – ein Schulverweis ist unausweichlich. Die Lehrer wollen nichts auf ihre Kleinschule kommen lassen.

Regie Autodidaktin Rima Das erklärte, dass sie im Grunde nach Mumbai gegangen war und eher zufällig zur Regie gekommen ist. Für eine Debütantin beachtlich, hat sie auch noch Schnitt, Kamera und Set Design realisiert – allerdings auch auf Verwandtschaft zurück greifen können, da sie in der Tat in ihrem Heimatdorf gedreht hat.

(c) Flying River Films

Normalerweise, gebe ich zu, dass ich aus Prinzip keine Filme unter 80 Minuten buche. Hier allerdings muss ich mal zugeben, dass weniger mehr gewesen wäre. Nicht alle Alltags-Szenen tragen zum Fortgang der Handlung bei. Ich gehe mal die steile These, dass dies vor einigen Jahren noch anders gewesen wäre – und dass die Bezahlbarkeit des digitalen Materials (statt wie früher teurem und somit knappen Zelluloid-Film) die Hand geführt haben. Nicht immer gelingen wirklich beeindruckende Einstellungen und Settings, an manchen Stellen scheint der Film zu mäandern.

Bulbul can sing ist nicht das übliche Coming-of-age-das-schaffst-du-schon mit strahlender Heldin nach Überwinden einer Reifeprüfung. Im Gegenteil, am Ende sehen wir Bulbul ein wenig desillusioniert wenn auch weiterhin auf die Unterstützung der Tante zählen könnend.

Dafne (Italien, Regie: Federico Bondi)

Am Ende des gemeinsamen Sommerurlaubes stirbt die Ehefrau Maria des Einzelhändlers Luigi plötzlich und überraschend. Die Tochter Dafne, mitt-dreißig, lebt nach wie vor bei Ihren Eltern und ist genau genommen der Sonnenschein des Haushaltes.

Auch wenn sie das Down-Syndrom hat, ist sie meistens eher Herrin der Lage als die Anderen und hielt Mutter und Vater im Besten Sinne des Wortes auf Trab. Herzensgut, sehr proper und mit allen charmant.

Nachdem Luigi und Maria nicht einmal ein gemeinsames Rentenalter beschert war, ist es Dafne, die nach anfänglicher Untröstlichkeit bald wieder in ihren unwiderstehlichen Routine-Gang rauf schaltet. Sie lässt sie ihrem Vater keine Chance, im Selbstmitleid zu versauern.

(c) Greta De Lazzaris / Vivo Film

Vom Fleck weg überzeugt hier alles: Das Script intelligent und gewitzt, frei von Erklär-Bär-Schlacke. Für so etwas gibt es schließlich einen gekonnten Schnitt. Ich gehe ja mittlerweile vor Dankbarkeit auf die Knie, wenn ich mitdenken darf. “Show it , don’t tell it” heißt das Mantra auf Regie-Seminaren, hier hat es einer wirklich begriffen!

Das clevere, mit viel liebevollem Dialogwitz gespickte Script tut ein übriges und entwickelt die Charaktere absolut überzeugend. Und nach dem höchstens im letzten Drittel man sich nicht sicher ist, wo die Reise hingehen soll und wird… punktet der Film nochmals mit einer der berührendsten Schluss Sequenzen dieses Jahres.

Laiendarstellerin Carolina Raspanti ist übrigens laut Regisseur Bondi auch im wirklichen Leben eine echte Naturgewalt. Mit einigen der Crew sei sie nach wie vor befreundet und im regen Kontakt.

The Day After I’m Gone (Israel, Regie: Nimrod Eldar)

Yoram ist gewiefter Chefarzt in einem Safari-Park in der Nähe von Tel Aviv. Sein stoischer Habitus ist nicht einer Mid-Life-Crisis geschuldet, sondern der Tatsache dass er und Tochter Roni vor einem Jahr die Mutter respektive Ehefrau verloren haben.

Der 17jährigen Roni begegnet Yoram bestenfalls. Zusammenleben kann man das nicht nennen, der Teenager hat sich nahezu komplett abgekapselt. Auch wenn er bei tagelangen Eskapaden Ronis ruhig Blut behält – eines Nachts ist der Status Quo gekippt. Ein Team Notfall-Mediziner drängt in die Wohnung, benachrichtigt durch die Meldung in einem Internet Forum. Roni hat Tabletten genommen.

Auch wenn Yoram seine Tochter Knall auf Fall aus dem Krankenhaus zurück erhält (Einsparungen im Gesundheitswesen offenbar auch in Israel), so wird die Lage daheim nicht anders. Sprachlosigkeit, Unwillen zur Verarbeitung. Ein von Yoram angezettelter Trip ins Hinterland zur Familie der Mutter soll es dann richten, wozu Roni widerwillig bereit ist.

In seinem ersten Spielfilm überzeugt Nimrod Eldar mit einem wunderbar austarierten Melodrama. Denn genau genommen ist Yoram als Vater kaum mehr am Leben, denn am funktionieren. Routiniert im Job, sehen wir ihn kaum einer Gefühlsregung, bleibt er bis auf seine Arbeit scheinbar ein Mann ohne Eigenschaften zu sein. Als er dann irgendwann doch einmal explodiert, wirkt das nur kurzfristig erlösend.

Yoram und Roni werden wieder eine gemeinsame Sprache finden müssen, wir sehen sie dabei quasi nur am allerersten Anfang

Der Film, unbeirrt und genau im richtigen Erzähltempo, versagt uns einfache Antworten und sogar die Hoffnung auf erfolgreiche Strategien. Und nur so wird er diesem heiklen Thema gerecht.

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