so ehrlich will ich sein: das erste Highlight des Tages war, “nur” drei Filme gebucht zu haben – und einmal ausschlafen zu können
Shirley (USA, Regie: Josephine Decker)
Gleich bei ihrer ersten Begegnung bekommt Rose die scharfe Zunge Shirleys zu spüren, kann sich jedoch einer Faszination dieser außergewöhnlich selbst bestimmten Frau nicht erwehren.
Vermont, USA späte 40er Jahre. Rose, jung verheiratet mit ihrem Mann Fred, zieht mit ihm in das Haushalt von Professor Hyman und dessen Frau Shirley Jackson gezogen. Was als Provisorium gedacht war (Fred soll als Dozent den Professor entlasten) wird zur Dauerlösung: Da der Haushalt aufgrund Shirleys Labilität nicht läuft (es sind die 50er, der Herr Professor ist da fein raus), wird Rose zur Hausfrau auserkoren, bei freier Kost und Logis. Die gerühmte Schriftstellerin, zugleich für ihren Sarkasmus und ihre Ausfälle berüchtigt, hat von ihrem Anfangserfolg überwältigt nämlich seit einem Jahr nicht mehr das Haus verlassen.
Doch bald erkennen die Jungvermählten, dass in diesem Haus so einiges im Argen liegt. Die Beziehung von Autorin und Professor ist irgendwo zwischen Dysfunktionalität und Hass-Liebe. Rose und Fred werden ganz allmählich in diesen Mikrokosmos aufgesogen, in dem Misstrauen, Entfremdung und Manipulation vorherrschen.
Es tun sich Risse auf, denn auch Fred scheint was seine Studentinnen betrifft auf den Pfaden des frivolen Professors zu wandeln. Unterdessen bricht andererseits das Eis zwischen den beiden Frauen.
Ohne es zuerst zu ahnen, wachsen beide aneinander. Shirley zieht aus der zuerst als “wifey”(Frauchen) Verkannten vermisste Inspiration für ihren überfälligen Roman. Rose lernt anhand von Shirleys Impertinenz, die eigene Stimme zu erheben.
Wenn auch fiktionalisiert, basiert dies faszinierende Psychogramm auf realen Figuren, der Ehe von Jackson und Hyman.
Das Skript punktet mit starken, bissigen Dialogen, die Dramatik entwickelt sich stetig und gekonnt. Die Kamera-Arbeit von Sturla Brandth Grovlen beeindruckt mit ihren Blickwinkeln, ihrer Beleuchtung und wie sie den Fokus setzt. Ohne es zu relativieren: Das bin ich mittlerweile von der verlässlichen Regisseurin Decker gewohnt.
Und so zahlt Shirley durchaus zum Stärksten, was ich hier dies Jahr gesehen habe.
El Profugo [The Intruder] (Argentinien/Mexiko; Regie: Natalia Meta)
Die vielbeschäftigte Synchonsprecherin und Sängerin Inés ist gerade auf einem Urlaubstrip mit Alberto, der sie so umwirbt dass es ihr langsam zu viel wird. Als dieser nach einem nächtlichen Streit unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt, beginnen eine Reihe von weiteren unheilvollen Phänomenen. Angebliche nächtliche Geräusche aus ihrer Wohnung, bedrohliche Träume, stimmliche Überlagerungen im Synchronstudio, die den Toningenieur zur Verzweiflung bringen …irgendwann meint Inés, Alberto auf einer Party zu sehen…
Es gelingt Regisseurin Natalia Meta sehr gut, eine immer unheimlicher werdende Stimmung zu erzeugen. Wie sie die Schraube ganz langsam anzieht, will ich nicht in Abrede stellen. Doch so gut wie nichts vom Gezeigten wird plausibel aufgelöst – und man fragt sich, ob das Meiste nicht plotmäßige Finten waren.
Wenn man es gut meint, könnte man sagen, der Film lässt viel Interpretations-Spielraum – in einem Genre, dass dafür nicht gerade bekannt ist.
Etwas unausgegorenes Mischmasch. Einigermaßen unterhaltsam, zumindest.
Sa-nyang-eui-si-gan [Time to hunt] (Republik Korea, Regie: Yoon Sung-hyun)
Seoul in naher Zukunft. Korea ist staats-bankrott, nur der Dollar wird noch als Währung akzeptiert. Etliche Pleiten, grassierende Arbeitslosigkeit. Gerade aus drei Jahren Haft entlassen, wird der junge Jun-seok wird von seinen Kumpeln und ehemaligen Komplizen Jang-ho und Ki-hoon abgeholt. Jun-seok hat das volle Ausmaß der Krise im Knast bisher nicht erfasst.
Obwohl Jang-ho und Ki-hoon auf den Pfad der Tugend zurück gekehrt sind, überredet Jun-seok seine beiden Jugendfreunde zu einem letzten “Ding”… auf ehrliche Weise käme man ja zu nichts mehr und anschließend lockt der Traum sich nach Übersee abzusetzen. Dass sie als Ziel ein illegales Casino auswählen scheint ein ebenso riskanter wie cleverer Plan: Zur Polizei könnten die ja schließlich nicht gehen. Was sie nicht wissen: auf den von ihnen mitgenommenen Securitykamera-Festplatten waren VIPs und Daten zu noch brisanteren Deals… das Kartell schickt ihnen einen Killer auf den Hals.
Man kommt gar nicht dazu, einige der Genre-Stereotypen in Frage zu stellen. So routiniert wie spannend wird hier die lange Flucht dieser Jungmänner, die gerade erst trocken hinter den Ohren geworden sind, in Szene gesetzt.
Die Szenen bei Abschied von Familie und Freunden sind nicht die Stärke des Films. Jedoch werden die Protagonisten in diesen Momenten endlich zu Charakteren, wären sonst zu halbstarken Abziehbildern verkommen, die sie zu Beginn des Filmes noch zu sein scheinen. Spätestens in den zahlreichen Action-Szenen punktet ‘Time to hunt’ immens.
Die Flucht vor dem unerbittlichen Killer hat durchaus etwas vom ‘Terminator’. Da verzeiht man auch dass nach einem furiosen Showdown, das Finale unnötige heraus gezögert wird. Was im Ende angedeutet wird ist eher Option auf ein Sequel als eine notwendige Schluss-Note.
Man kann sich jetzt darüber streiten, was solch konventionelles Genre-Kino auf einem Film-Festival zu suchen hat. Von der Berlinale wird es denn auch in der etwas verquasten Sektion “Berlinale Special Gala” sortiert.
Doch ganz ehrlich? Nach so einigen Gurken unter meiner ansonsten sehenswerten Auswahl des Jahres gönne ich mir so etwas am letzten Tag einfach…