Paradox: ein deutscher Liebesfilm punktet mit französichem Esprit – der französiche versteigt sich in teutonischer Manier dabei, ein Liebesdreieck zu inszenieren
A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe (Deutschland/Frankreich, Regie: Nicolette Krebitz)
Die etwas kapriziöse Schauspielerin Anna (Sophie Rois) leistet es sich, nicht mehr jeden Scheiss zu machen. Auch wenn das bedeutet, bei ihrem väterlichen Freund Michél (der unzerstörbare Udo Kier) mit der Miete im Rückstand zu sein. Aus finanziellen Gründen willigt Anna ein, Sprach-Unterricht zu geben: Ein Problemschüler, der Heranwachsende Adrian soll in einer Schultheater-Aufführung die Hauptrolle übernehmen.
Doch nicht nur Nuscheln und Aufmerksamkeitsschwäche sind dessen Probleme. Der Junge ist auch noch kleinkriminell. Anna staunt nicht schlecht beim ersten Treffen – er hatte ihr vor kurzem auf der Straße die Handtasche gestohlen.
Der zunächst unwillige Adrian (Milan Herms -wenn auch im Spielalter “Schüler” grenzwertig- mit der Aura eines unvorhersehbaren, jungen Cillian Murphy) vernarrt sich langsam in seine faszinierende Lehrerin. Anna gibt erst spät und nur allmählich Anna dem jugendlichen Drängen Adrians unleubarer Energie nach.
Auf einer spontanen Reise an die Côte d’Azur wird ihr Abenteur fortgesetzt…auf dem Adrian wieder flinke Finger beweisen wird – mit Konsequenzen.
Nicolette Krebitz inszeniert diese amüsant verquere Liebesgeschichte mit überwiegend leichter Hand und mit gut dosiertem, teils ironischen Humor. Das ebenfalls von Krebitz stammende Skript verwendet Sophie Rois immer wieder als Off-Erzählerin in der dritten Person. Zwischen Poesie und Redundanz wirkt dies anfänglich etwas kandidelt, fügt sich zugegeben nach und nach funktional in den Erzählfluss ein.
Unsentimentalen Nörglern mögen hier und da an Glaubwürdigkeit und Schlüssigkeit in Frage zu stellen. Doch machen wir uns nichts vor: Wenn dies nämlich ein französischer Film wäre, käme niemand auf kasteiende Gedanken oder die Idee, die Plausibilität des munteren und charmanten Plots zu sezieren.
Selbst das scheinbar unvermeidliche Besetzung-Klischee passt: Manchmal braucht man eben den einzigen wahren Udo Kier.
Tres charmant.
Avec amour et acharnement |Both Sides of the Blade (Frankreich, Regie: Claire Denis)
Die Radiomoderatorin Sara ist seit Jahren glücklich mit Jean verheiratet. Wir begegnen ihnen in sonnendurchfluteten Urlaubsszenen voller Harmonie.
Jean ist dabei, wieder geschäftlich auf die Beine zu kommen. Er startet eine Partnerschaft mit seinem Freund Francois – mit dem allerdings Sara vor Jean zusammen war…
Die Ambivalenz, mit der Juliette Binoche Saras Wanken zwischen Begehren und Furcht vermittelt. gehört zu den Stärken dieses Filmes. So glaubhaft-liebevoll die ehelichen Alltag und ihr Liebesleben Szenen von Sara und Jean realisiert sind…so spät und in wenigen Szenen werden die unglückselige Anziehung Saras und Francois’ dann sichtbar eingelöst.
Die Last, die Dramatik dieses Liebesdreiecks rüber zu bringen liegt bei den überzeugenden Hauptdarstellern, insbesonders einer starken Juliette Binoche. Skript und Dramaturgie sind dazu leider bei allem Wortreichtum etwas zu verkopft.
Dass das sich abzeichnende Wiedersehen mit Saras Nemesis Francois dunkle Schatten wirft, dass sehen wir ihr an. Die amour fou, die beide seinerzeit emotional an den Abgrund bracht – etwas, das sich zu wiederholen droht, das erfahren wir eher in Dialog als inszenatorisch.
Claire Denis’ Film verlässt sich allerdings scheinbar darauf, dass der Zuschauer eine ähnlich verhängnissvolle Liebe einmal im Leben erlebt hat. Allen anderen könnte es verstiegen oder anmaßend daher kommen.
Nebenschauplätze wie zwei Radiointerviews Saras werden zu lang aufgemacht. Und wo das Drehbuch im Nebenplot mit Jeans Sohn Marcus hinwollte, wissen die beiden Autorinnen womöglich selbst nicht recht. Wir sehen einen langen Monolog, mit dem Jean den Schul-abtrünnigen auf die rechte Bahn zurück bringen will. Dass Jean ein geläuterter, liebevoller Mensch ist begreifen wir auch ohnedies.
Der Länge des Filmes tut ihm nicht gut. Fast ist man froh, dass es endlich zum Drama und später zum Eklat kommt.
Und so bewegt einen dann bezeichnender Weise der Abschluss-Song wie auch die gesamte Filmmusik (von der Band Tindersticks) mehr als die Story.
Brainwashed: Sex-Camera-Power (USA, Regie: Nina Menkes)
Dieser Film ist nicht ambivalent und das aus gutem Grund: Der Regisseurin Nina Menkes ist es seit vielen Jahren ein Anliegen, die Hegemonie männlicher Bestimmung im Kino zur Sprache zu bringen.
Sie zitiert James Baldwin: “Not everything that is faced can be changed. But nothing can be changed until it is faced.”
Durch einen wegweisenden Aufsatz der Filmtheoretikerin Laura Mulvey (“A male gaze”) wurde Nina Menkes einst für das Thema sensibilisiert und hat neben ihrer eigenen Regie-Arbeit eine Vortragsreihe zum Thema entwickelt.
In Ausschnitten aus Menkes Vorträgen werden hier unzählige Beweis-Szenen aus anerkannten Meisterwerken, Klassikern und Liebgewonnenem zitiert.
Kenntnisreich, schlüssig und klar reiht Nina Menkes in “Brainwashed..” Verfahrensweisen, Stilmittel und Techniken auf, mit denen die Objektifizierung des weiblichen Körpers seit Jahrzehnten im Kino scheinbar unverrückbar festgeschrieben ist. Ein System, dass sich womöglich auch durch visuelles Lernen verselbständlicht hat. Als männlicher Zuschauer ertappt man sich nämlich dabei, tendenziell zu denken: “Wie denn sonst”und darf durch die Beharrlichkeit des Films und der Ausführlichkeit der Fallbeispiele erkennen, woher diese Etablierung kommt.
“Jetzt ist auch gut, ich hab es begriffen.” ist ein weiterer instinktiver Gedanke, den Mann beim Schauen haben könnte. Doch die Beispiele, die Legion Beispiele, die Nina Menkes aufführen kann zeugen halt von jahrzehntelangem, systematischem Auswuchs:
Perspektive, Bildausschnitt, Ausleuchtung werden gezielt darauf angelegt, die weiblichen Protagonisten zu objektifizieren:
Wenn Frauen(körper) gezeigt im Film gezeigt werden, so geschieht das im überwältigendem Anteil aus der subjektiven Sicht des Mannes. Die Frau ist nicht nur seiner Sicht, sondern auch seinem Handeln untergeordnet, so Menkes. Dabei baut sie glaubhaft eine Verbindung zu übergriffigem Verhalten gegenüber weiblichen Filmschaffenden auf. “Me too” war nicht der Anfang, sondern Folge.
Dies visuelle Dogma -so versichert Menkes- beschränkt sich im Übrigen nicht auf den amerikanischen Filmmarkt.
Dass es auch durchaus anders geht, wird zum Ende dieser eindrucksvollen Dokumentation mit einigen Positiv Beispiele und Alternativen dargestellt. Diese sind bezeichnender Weise aus Werken, die kommerziell keinerlei Rolle spielten.
Das beschämende daran, so Menkes: In den USA wurde im Jahr 1964 mit dem “Title 7” ein Verfassungs-Zusatz erkämpft, eigentlich gleiche Jobchancen für Herkunft, Religion und Geschlecht fordert.
Noch auf den Filmhochschulen Amerikas ist der Frauen-Anteil stabil 50%. In 2018 wurden von ihnen gerade mal noch 8% der Filme gemacht.