Auf Umwegen ins Art-House …Berlinale 2015 #6

Lage: Dass es mal nicht gleich vormittags losgeht…durchaus entspannend. Doch: bloß 3 Filme ? Verpasse ich da nicht was ??

Highlight: Wiederum Erfolg bei den letzten Ticket-Vorkäufen und trotz teils engem Zeitplan zügig zu den heutigen Vorstellungen mit passablen bis sehr guten Sitzplätzen

Nachmittags in “I am Michael”

“Based on a true story” kann man zu Beginn immer als Warnung oder als Versprechen auffassen. Warum müssen wir das eigentlich wissen ? Weil es sonst zu ausgedacht aussehen wird ? In diesem Falle vielleicht sogar notwendig, weil wirklich außergewöhnlich. Kurzum: Einer der offensivsten Vertreter der Schwulen- und Lesbenszene in den 90ern, Verleger und Aktivist Michael Glatze verfällt der (vielleicht für die USA typischen) Selbsthilfe-ritis und mutiert über die Jahre zum Gottesmann, ändert seine sexuelle Identitä t-  und wird schließlich Bibel-Lehrer und Pastor. Bumm.

Das gibt schon was her und ist zudem noch gut und glaubwürdig in Szene gesetzt, ohne die Hauptfigur zu verraten und verkaufen. Ob es nun wirklich göttliche Liebe war oder die Tatsache, dass Michael pragmatischer weise “seine Eltern im Himmel wiedersehen können möchte” …der Film lässt dies fairerweise einigermaßen offen.

I am Michael
“…ich werde für Euch beten”

Eine wirklich gute Darstellung von James Franco erleben wir – ohne dass er auf James-Francoismen zurück greifen muss. Der kann was. Dass er sich am wie immer charismatischen Zachary Quinto reiben kann, erdet seine Performance dann vollends. Übrigens:

Dem Regisseur kann man nun wirklich nicht Parteinahme vorwerfen: Er hat den “echten” Michael Glatze lange interviewt, der fertige Film fand außerdem sein Wohlwollen. Laut Regisseur soll er seine extremistischen Positionen mittlerweile etwas zurück genommen haben.

Spätnachmittags in “The beat beneath my feat”

Manchmal darf es auch ein Unterhaltungs-Film sein. Wenn auch im Gewand eines Coming-of-Age-Dramas in der Generation14 Sektion.

Tom ist ein Schüler, der heimlich träumt, Rock’n’Roller zu sein – in der Schule jedoch wegen seiner Tagträume “Mr.Freeze” genannt wird. Da er auch noch super schüchtern ist, sieht er sich ständigen Hänseleien ausgetzt. Das nächste Klischee: Allein erziehende Mutter, Sozialwohnung. Das Leben (oder das Drehbuch) will es so, dass in die Wohnung unter ihnen ein Einsiedler einzieht, den offenbar nur Tom wieder erkennt: Max Stone,  gescheiterter und vor der Polizei flüchtiger Ex-Rockstar und -Gitarrist einer legendären Band. Tom setzt alles auf eine Karte: er triezt diesen doch irgendwie sympathischen Schatten seines ehemaligen Rock-Egos so lange, bis der einwilligt, ihm Songwriting und Gitarren-Kniffe beizubringen. Bald steht ein Bandwettbewerb in der Schule an, Tom steht auf die Sängerin der Konkurrenz-Band, deren Frontmann sein hämischter Widersacher ist. Und nun lass ich den Leser mit weiteren Klischees und Versatz-Stücken in Ruhe.

The Beat beneath my feet
Mobiliar zerlegen kann er schon wie ein Alter

Woran liegt es, dass es trotz allem so unterhaltsam ist ? Wohl an dem sich nicht zu ernst nehmenden Drehbuch, den sympathischen Darstellern – und an der durchaus guten Musik. Aus Zeitgründen, so erfahren wir im Q&A, wurden kurzerhand drei charmante Musik-Videos gedreht, um sie an passenden Stellen in der Handlung einzusetzen. Praktisch, wenn der Regisseur schon für Coldplay und Konsorten Clips gemacht hat.

Ein kleiner Geniestreich ist die Besetzung von Luke Perry (Serienstar aus den 90ern) als gestrandetem Rocker. Der Regisseur, so erzählt er uns, suchte jemanden der beides erlebt hat: Fanatische Anhängerschaft und Absturz in die Flaute.

Spätabends in “Le dos rouge”

Film im Film, Film über Film …ist bereits mehrmals und mindestens einmal genial behandelt worden: Truffaut’s “Die amerikanische Nacht”. Hier geht es aber vordergründig um die Suche nach dem Thema vor/für den eigentlichen Film. Protagonist Bertrand (auch im wirklichen Leben Regisseur) kann seinem Team und den Produzenten kaum in Worte fassen, was er will und sucht. So soll denn eine Kunsthistorikerin ihn durch Museen begleiten um mit ihm in Kunstwerken über Monster wenigstens das Zentralstück für sein nächstes Werk zu finden.

Le dos rouge
Bilder einer Ausstellung. Was sehen wir da ? Was wollen wir sehen ? Wer ist das neben mir ? Wer bin ich und was will ich ?

Im Verlauf der Handlung gibt es eine Vielzahl Begegnungen und Ereignisse, mal rätselhaft, mal bizarr – und mehrfach sehr amüsant. Der Film scheint jedoch nur so zu mäandern, wie sein Protagonist Mal um Mal Entscheidungen ausweicht. Bald wissen auch wir nicht mehr Wahrheit und Kunst zu unterscheiden. Dass Bertrand auch an seinem Körper seltsame Veränderungen feststellt, scheint da nur ein Teil des Puzzlespiels zu sein. Die (innere) Reise führt Bertrand zu einer wichtigen Erkenntnis, doch dies auch auf einen Weg auf dem er nicht zurück kommen wird.

Übrigens vielleicht das beste, weil interessanteste, aufschlussreichste Q&A mit Regisseur im Anschluss.

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