Beim ersten Durchsehen des Filmprogramms schien die Auswahl für meinen ersten Berlinale Tag nicht gerade groß. Immerhin war dann alles im Format 2,35:1.
Django (Frankreich, Regie: Etienne Comar)
war im Gesamtprogramm nicht unbedingt meine erste Wahl. Bio-Pics haben nicht selten etwas Nummer-Sicher artiges. Andererseits: warum nicht mit etwas solidem starten?
Django Reinhardt war ein Phänomen in der Jazzwelt der 30er bis 50er Jahre. Weit über die Grenzen Frankreichs hatte er durch sein geniales Talent auf der Gitarre für lange Zeit eine Alleinstellung. Seine einzigartiger Gypsy Swing begeisterte durch Spielfreude, seine Rhythmen brachten jedes Bein in Bewegung. Allerdings fiel sein künstlerischer Zenith auch mit der Zeit der deutschen Besatzung durch die Nazis zusammen. Was für ihn als Sinti besonders heikel war. Nicht nur die Franzosen verehrten ihn, immer mehr kam die Begehrlichkeit auf, ihn für deutsche Truppenbetreuung einzuspannen. Natürlich mit festgelegten Grenzen: “Max.5% Synkopen, kein Solo über 5sec, Tempi sind unter Allegro zu halten, KEIN Blues..”
Es fällt ihm zunehmend schwer, sich dem Einfluss seiner ungeliebten Gönner zu entziehen. Auch wenn er sich selbst am liebsten außerhalb dieser Realität sähe. Es sei nicht sein Krieg. Er und seine Familie bekommen das Angebot mit seiner Familie in die Schweiz zu fliehen, allerdings gibt es kurz vorher Komplikationen und sie sind gezwungen in einem grenznahen Ort unterzutauchen. Man freundet sich mit in der Nähe campierenden Zigeunern an, Django spielt in örtlichen Kneipen – was natürlich aufgrund seines Talentes wiederum Kreise zieht. Bald wird er gestellt und soll sich endlich mit den Besatzern arrangieren. Eine letzte verzweifelte Chance zur Flucht tut sich auf…
In wieweit dies nun alles historisch bis ins letzte exakt ist (ein kurzer Gegencheck auf wikipedia lies zweifeln) darf sich jeder selbst fragen. Andererseits: Szenen wie die vermutlich fiktive(?) Eingangs-Sequenz, in der ein brodelnder Konzertsaal auf ihn wartet, Django aber versonnen an der Seine angelt, skizzieren nunmal einen Charakter und seine Zeit.
Immerhin darf sich Regisseur Comar rühmen, die Erinnerung an einen der genialsten und einflussreichsten Gitarristen hochzuhalten.
Eolomea (DDR, Regie: Hermann Zschoche)
Dass dieses Science-Fiction-Fundstück aus dem Filmfundes des anderen Deutschlands sogar in 70mm-Fomat gedreht wurde, ließ mich hoffen ihn auch im Kino International in diesem Format zu sehen. Dass vorher vergaß, meine Kontaktlinsen einzusetzen, half dabei nicht. Die Kopie war allerdings schon sichtlich gealtert. Doch es taten sich ganz andere Schwächen auf.
In einer nicht allzu fernen Zukunft. Von Staaten reden wir gar nicht mehr, im Zentralrat der Astronautik sitzen Menschen aller Rassen ausgewogen nebeneinander. Angenehm progressiv. Dass die Hauptfigur Professorin Maria Scholl einen holländischen Zungenschlag hat, passt zur sich langsam aufbauenden Drolligkeit des Filmes.
Denn was mit einer Krisenkonferenz wegen vermisster Raumschiffe beginnt, springt bald handlungsmäßig hin und her. Das meet cute von Professorin Maria und “Raum-Taxifahrer” (Eigenbezeichnung) = Kosmonauten Dan. Dann ein Dialog zwischen Maria und ihrem mysteriösen Gegenspieler Professor Tal. Kurz darauf sind wir bei Dan und seinem weisen und greisen Navigator Kun auf einem entlegenen Außenposten “Luna3”. [Wobei in der Astronautik Luna eigentlich für Erd-Mond steht und der war 1972 fast schon wieder passé. Aber lassen wir das.]
Avantgardistische Dramaturgie ist eines, doch wenn wir zeitweilig nicht wissen, wie uns geschieht wird es latent komisch. Wenn auch einige Nerds meinten, im Kino bei jedem vermeintlich als zu offensichtlich erkannten optischem Effekt auflachen zu müssen: die Komik entsteht hier durch die Betagtheit und Überambition.
Überambitionierte Dialoge (vom großen Rolf Hoppe seltsamerweise zeitweilig fast cool genuschelt), gewagte Schnitte (manchmal glaubte ich, der Vorführer würde die Spulen in falscher Reihenfolge zeigen), …die aus heutiger Sicht putzigen Spezialeffekte waren noch das kleinste Übel.
Wir spionieren auf einer scheinbar verlassenen Raumstation herum, später darf dann noch ein tapsiger Roboter nicht fehlen, Dan trifft eine heroische Entscheidung… Ich lasse es mal gut sein. Das Vertrauteste in diesem Klimbim ist die Stimme von Manfred Krug – der den russichen Hauptdarsteller synchronisierte. Diese Tatsache erdet zum Glück diese etwas verrutschte Genre-Stilübung.
Man könnte jetzt sagen: Immerhin haben sie es versucht. Doch im selben Jahr schuf Tarkowski in der UdSSR mit “Solaris” einen philosophischen Meilenstein des Genres.
Und ganz offenbar war auch Regisseur Hermann Zschoche der Film ziemlich einerlei. Im zähen Q&A vor dem Film fiel es Retrospektive-Leiter Richard Rother fast schon schwer ihn bei Laune zu halten. Das Projekt sei für ihn stilistisch eine einmalige Beschäftigung gewesen, er hatte ein fertiges Drehbuch versprochenerweise übernommen -und sich kurz darauf anderem zugewendet. Und nie wieder zurück geblickt. Was ich mittlerweile verstehen kann. Immerhin erfahren wir, dass trotz Riesenbudget aufgrund Planwirtschaft kaum futuristisches Szenenbild zu kaufen war. Somit wurden Bühnenbildner mit Schnapps in die Volkseigenen Betriebe geschickt – um das Material zu organisieren.
Vazante (Brasilien/Portugal, Regie: Daniela Thomas)
Wie gesagt, die Filmauswahl für meinen ersten Tag war subjektiv nicht sehr üppig. So greift man dann auch am ersten Tag mal zu vermeintlich kargem Existenzdrama:
Minenbetreiber António lebt im frühen 19.Jahrhundert im brasilianischen Outback. Eine Welt, in der Sklaverei an der Tagesordnung ist – und die Diamantenvorräte erschöpft. Er verliert Frau und Nachwuchs im Kindbett und verfällt dem Phlegma. Sein freigelassener Ex-Sklave/Sklaven-Aufseher Jeremias und die angereiste Verwandschaft seiner Frau scheint mehr am Fortbestand des entlegenen Betriebes zu liegen als ihm. Erst nachdem er auf Betreiben seiner Familie Beatriz, 12(!)jährige Tochter seines Schwagers, heiratet, zieht es ihn langsam ins Leben zurück. Beatriz geht während Antónios Geschäftsreisen mit kindlicher Naivität auf die eigentlich streng getrennten Sklaven zu und schließt mit einem Jungen sogar mehr als Freundschaft. Sklaventreiber Jeremias hat indes alle Mühe, aufkeimende Revolten zu unterdrücken. Und Herr über Haus und Hof António verlangt es nach wie vor mehr nach seiner Sklaven-Mätresse Feliciana als seiner Kind-Frau. Was in Anbetracht der Umstände aus heutiger Sicht fast schon als anständig zu bezeichnen wäre. Aber nur fast.
Einige Zeit später sind sowohl Beatriz als auch Feliciana schwanger. Fragt sich nur, von wem. Jeweils.
Regisseurin Thomas verschönt hier nichts, nüchtern aber teils wunderbar konzipierte SchwarzWeiß Kamera-Arbeit treffen auf angemessen spärlichen Einsatz von Dialogen.
Der Film verzichtet fast völlig auf Musik, was zur Kargheit und Archaik nochmal beiträgt. Als man sich erstmal an das Erzähltempo und die teils kühle doch angemessene Dramaturgie und Montage gewöhnt hat, ist man bereit sich auf dieses Sittenbild einzulassen. Inklusive der tragischen Schluss-Spirale.
Übrigens einer der besten Schluss-Cuts, die ich in meinen Berlinale-Jahren bisher sehen durfte.