Berlinale 2017 – Tag 2: Der längste Tag

Vor einigen Jahren wagte ich, fünf Filme auf einen Berlinale Tag zu legen. Gegen Spätabend damals schleppte ich mich nahezu in den Letzten. Ein süd-koreanisches Road Movie, das zum Glück noch punkten konnte. Doch wie gesagt, zuvor dachte ich: jetzt nach Hause wäre auch nicht schlecht. Dass gleich mein zweiter Tag ein neuer Anlauf dieser Selbstüberschätzung werden sollte, ist einem Versehen im Vorverkauf zu verdanken. Wie es mir ergangen ist ?

Seconds (USA1966, Regie: John Frankenheimer)

Die Inhaltsangabe versprach eine Moritat a la Twilight Zone. Am Rande der Wissenschaft.

Der alternde Banker Hamilton lebt ein erfolgreiches, aber gefühlt inhaltsleeres und emotionsloses Leben. Die Beziehung zu seiner Frau schon lange versachlicht. Ein Anruf eines tot geglaubten Freundes offenbart ihm, es gäbe ein zweite Chance. Eine Firma, die ihn quasi neu erfindet, mit neuer Identität ausstattet. Ein Verschwinden mit komplettem Neufanfang. Nach einiger Überzeugung willigt er ein. Bald kommen ihm Zweifel ob der zweifelhaften Moralvorstellungen und Ethik dieser Firma. Doch in seinem neuen Leben, nach einer kosmetischen Umoperation lebt es sich gut in seiner neuen Identität: als deutlich jüngerer Maler an der Westküste. Parties, eine neue Liebe, Alkohol… der ihm allzu bald die Zunge löst und klar macht, dass tief innen er diese neue Realität nicht annimmt. Da die “Firma” eine Enttarnung nicht zulassen kann, wird er in deren Zentrale zur Konditionierung zurück geholt. Doch man ist auch zu drastischeren Mitteln bereit.

Rock Hudson in einer beachtlichen Rolle. Durch Type-Casting unterschätzten wir ihn.

Wow, für die Rolle sei unter anderem Laurence Olivier im Gespräch gewesen. Der Regisseur hätte überredet werden müssen, den damaligen Frauenschwarm und vermeintliches Leichtgewicht Rock Hudson zu casten. Was für eine Performance! Dann noch die eindringliche Kamera-Arbeit und ein dezenter aber effektiver Soundtrack von Jerry Goldsmith… ein vergessenes Kleinod. Trotz gewünschter Starpower des Studios tat sich der Film seinerzeit schwer. Kratzte er doch an der Fassade des Amerikanischen Traumes.

THX 1138 (USA1971, Regie: George Lucas)

Ja, genau der George Lucas. Das letzte Mal, dass ich einen George Lucas-Film im Kino sah, war -Trommelwirbel- 1977: Krieg der Sterne. Mit englischen Titeln hatten wir es noch nicht so sehr. Und dass es “Episoden” sein würden, ahnte auch noch niemand. Ebensowenig, dass Lucas bereits 1971 einen wegweisenden Science Fiction konzipiert und realsiert hatte. Ein Remake seines eigenen Studien-Abschlussfilms.

THX (Robert Duvall) lebt bzw. funktioniert in einer streng reglementierten, unterirdischen Welt der Zukunft. Menschen befolgen Ansagen und arbeiten von Robotern kontrolliert in Fabriken. Sedierung durch Medikamente ist Pflicht. Emotionen, gar Liebe oder Erotik sind bei hohen Strafen verboten. THX’ Mitbewohnerin LUH befolgt dies aber nicht mehr und tauscht langsam auch THX’ Pillen aus. Sie verlieben sich und werden zu Kriminellen erklärt. Als die Geschehnisse eskalieren, wagt THX mit zwei weiteren Insassen die Flucht – obwohl die Oberfläche keine Überlebenschancen bieten soll.

Das Gefängnis der Zukunft hat keine Mauern…aber scheinbar auch kein Ende.

Nicht nur das Set Design dieser totalitären Welt beeindruckt, auch die Konsequenz wie hier Entmenschlichung und Kontrollstaat dargestellt werden. Wie Kurator Josh Siegel vor dem Screening erklärte, geschah dies in der Literatur bereits zweimal schon Jahrzehnte zuvor. Unter anderem in E.M.Fosters “The Machine Rests”, indem angeblich das Internet quasi Jahrzehnte zuvor vorausgesagt wurde. George Lucas und Ko-Autor und Sound-Designer Walter Murch versichern aber die nie gelesen zu haben (!)

Fast schon konventionell wirkt es da an, dass die Menschen-Hatz gegen Ende in eine Verfolgungsjagd Auto vs. Motorräder mündet. Wenn auch technisch spannend gemacht.  Doch offenbar war es für George Lucas und Produzent Francis Ford Coppola schwierig genug, seinerzeit Warner Brothers zur Produktion zu überreden.

Fun Fact: THX hielt als Abkürzung in ein von Lucasfilm lizensiertes Tonzertifikat in Filmtheatern und Heimkinos Einzug. (Andere sagen es stünde für Toningenieurs Tom Holman Crossover, doch egal)

Requiem for Mrs J. (Serbien/Bulgarien/Mazedonien/Russische Föderation/Frankreich, Regie: Bojan Vuletić)

Jelena ist seit einem Jahr Witwe und fast ebenso lange ihren Job als Sekretärin in einer Belgrader Fabrik los. Viel ist nicht mehr los mit ihr, ihrer fast erwachsenen Tochter geht es auf die Nerven, den Haushalt quasi alleine zu schmeißen. Die jüngste Tochter entzieht ihr ebenfalls langsam das Vertrauen, die Oma lebt abgeschieden im Nebenzimmer und erscheint nur ein/zwei Mal am Tag. Jelana besorgt sich eine Pistole.

Jelema hat mit diesem Leben abgeschlossen

Nicht wenige Male fühlte ich mich an den lakonischen Stil Aki Kaurismäkis erinnert, der in Kürze auf der Berlinale mit seinem neuen Film sein wird. Traumhaft wie scheinbar emotionslos Hauptdarstellerin sich durch die Woche  vor ihrem geplanten Selbstmord laviert. Umbestellung beim Steinmetz für den nun gemeinsamen Grabstein mit ihrem Mann, umständliche Gespräche mit der Krankenversicherung wegen abgelaufener Versichertenkarte (wie kommt man sonst an Schlafmittel für Plan B) …und dann bricht auch noch die Nachricht herein, dass ihre Tochter schwanger sei.

Erase and Forget (USA, Regie: Andrea Luka Zimmerman)

James “Bo” Greitz ist der höchst dekorierte Elite Soldat der US Armee. Der mittlerweile 70jährige hat so viele Einsätze hinter sich, dass es selbst ihm schwer fallen dürfte, sich an alle zu erinnern.

Eine klassische Narrative sucht man hier vergebens. Fast schon kaleidoskop-artig sind die aus verschiedenen Jahrzehnten stammenden Elemente montiert. Interviews der Regisseurin, Nachrichtenbeiträge, Ausschnitte aus Bo’s Serie von Nahkampf Tutorials …sowie eines obskuren B-Movies  um seine Person. Unterbrochen durch Aussagen von Weggefährten bis hin zum Regisseur Ted Kotcheff, dessen “First Blood”(Rambo) auf der Figur des Bo Greitz basierte.

Im Q&A nach dem Film erklären Regisseurin Andrea Luka Zimmerman und ihre Produzentin, dass es Ansatz gewesen sei, das Material zu präsentieren – aber keine Deutung oder Wertung vor zu nehmen. Sie seien gespannt, den Film in Kürze auch in deutlich konservativeren Zirkeln in den USA zu zeigen und dort zu diskutieren.

Discreet (USA, Regie: Travis Mathews)

Dass der Regisseur vor zwei Jahren hier mit dem verkopften Doku/Drama “Interior:Leather Bar” wie auch anderswo nicht so recht punkten konnte, hätte mich aufhorchen lassen sollen. Doch die Inhaltsangabe rückte es in Thriller-Nähe. Also:

Der längst erwachsene Alex führt ein nomadisches Dasein. Er ist (offenbar) irgendeine Art von Dokumentar-Filmer, wir sehen ihn am Rande von Highways mit Stativ und Kamera hantieren. Später ein Besuch bei seiner Mutter, ein fragmentarisches Gespräch bei dem endlich fällige Themen auf dem Tisch kommen. Dann wieder bei homosexuellen Quickies in Toiletten und ebensolche Meetings mit Fremden in Motels arrangierend. Noch später nimmt er sich seines siechen Vaters an, der eigentlich in ein Pflegeheim gehören würde.

Wie das nun alles zusammen hängt, bleibt dem Zuschauer über weiter Strecken überlassen. Denn Schnittfolge und Dramaturgie sind alles andere als schlüssig. Am Ende ist wenigstens halbwegs klar, wer und warum eine am Anfang des Filmes verschnürte Leiche flussabwärts geschickt hat.

Ähnlich orientierungslos fühlt sich der Zuschauer

Wenn Thriller meint, dass man sich sehr viel denken muss, dann mag das stimmen. Vielleicht tue ich dem Film am Ende eines langen Tages aber auch unrecht. Ob ich mir eines Tages aber noch einmal gut 80min investiere um das heraus zu finden, bleibt fraglich.

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