Berlinale 2017 – Tag 5: Humor extra trocken, ein Experiment und ein Killer-Koch

Auch wenn es jetzt immer professioneller, manischer läuft: Flüchtigkeitsfehler schleichen sich ein. Nanu, gar keine Schlange beim Cinemaxx 8, dem Spielort der Retrospektive? Glück gehabt! Als ich mein Ticket checke, stelle ich fest: Falsches Kino, schnell rüber, zum Cinestar – glücklicherweise nebenan.

gog (USA 1954, Regie Herbert L. Strock)

Eine unterirdische Wissenschafts-Station inmitten einer amerikanischen Einöde. Hier erproben dutzende Wissenschaftler die Technik der Zukunft. Eingeflogen wird Dr.Sheppard, denn langsam häufen sich Unfälle mit Todesfolge und vermeintliche Sabotage.

Ich hatte durchaus schlockigeres erwartet, lächerliche Monster, böse Invasoren, klischeehafte Dialoge etc… Doch abgesehen vom plakativ ausgeleuchtetem Set Design der 50er Jahre war sowohl der Plot als auch seine Umsetzung sonstigen Sci-Fi Machwerken dieser Ära haushoch überlegen. Derart “erwachsen”  und fast schon philosophisch kann man sich lediglich an den famosen “Forbidden Planet” (mit einem jungen Leslie Nielsen als Helden) erinnern.

Rollenverteilung in den 50ern

gog (wirklich kleingeschrieben) hatte als Indie-Produktion deutlich weniger Budget und kaum namhafte Stars. Doch von einigen Stereotypen abgesehen, wird hier dennoch überzeugend gespielt. Regisseur Herbert L. Strock verlieh dem ein gutes Maß an Spannung und verließ sich nicht nur darauf, dass die Produktion mit 3D punkten konnte. Der Film ist einer von doch nur rund 50 3D Filmen der ersten Welle dieser Technik – als man seinerzeit versuchte das aufkommende TV doch noch zu überflügeln. Ganze Arbeit wurde bei der Restauration dieses Kleinods geleistet: Von der linken Kamera war nur eine ausgeblichene, von der rechten eine ziemlich beschädigte überliefert. 63 Jahre nach Premiere erstrahlen die raumtiefen Bilder wieder in neuem Glanz.

Randnotiz : zur Abwechslung kamen die Bösen mal weder aus Russland noch aus dem All, sondern “from Europe”.

Toivon tuolla puolen [Die andere Seite der Hoffnung] (Finnland/Deutschland, Regie: Aki Kaurismäki)

Nur wo Kaurismäki drauf steht, ist auch Kaurismäki drin. Mag sein, dass man nicht in die Filme des großen finnischen Lakonikers geht, um überrascht zu werden. Traditionsgemäß hat der Regisseur Oddballs und Außenseiter ins Herz geschlossen. Hier ist es der reifere Handelsvertreter Wikström, der seine trinkende Frau verlässt. (Das mit dem Trinken reimen wir uns erst später zusammen, denn Kaurismäki-Charaktere reden nicht mehr als nötig  ist.) Wikström liquidiert seinen Betrieb -und übernimmt kurzentschlossen eine leicht abgewirtschaftete Kiezkneipe…nebst kauzigem Personal.

Wie Wikström seinen neuen Laden schmeißt, das hat den oben erwähnten aberwitzigen Kaurismäki-Charme, staubtrocken e Dialoge in aberwitzigen Situationen. Als der Laden schlecht läuft, wird das Personal auf Sushi-Bar “umgeschult”, als eine asiatische Reisegruppe die Fischvorräte aufisst, muss es fragwürdig alter Salzhering auch tun.

Die Parallel-Handlung zeigt den syrischen Flüchtling Khaled, der nur durch Zufall in Helsinki gelandet ist und seine Schwester auf der Flucht aus den Augen verloren hat. Kaurismäki findet nicht, dass bei diesem Thema der Spaß aufhört: Seine Erlebnisse beim Asylverfahren sind ebenso kurios wie später seine Zufallskarriere in Wikströms Kneipe als Faktotum vom Dienst. Wenn schon Finnland kein Asyl gewährt, so zeigt Wikström letztlich ein Herz als er Khaled -sich vor Neonazis versteckend- findet. Hier haben sich die richtigen gefunden.

Einzig die Dialoge der Asylbewerber untereinander lassen mit dem nötigen Ernst deren sorgen und Gefühle erahnen. Doch Humor wird auch hier transportiert. Tip eines Freundes für Khaled: “Lächle, dann hast du größere Chancen hierzubleiben. Die Trübsinnigen schicken Sie als erste zurück. Aber lächle niemals auf der Straße…sonst hält man dich für verrückt.”

Beachtlich die thematische Balance, die Kausimäki gefunden hat. Doch das muss man von einem Meister der Tragikomik eigentlich auch erwarten. Womöglich die meisten Lacher auf dieser Berlinale, unter den Wettbewerbs-Beiträgen ganz sicher.

Der Betriebsrat tagt


Tamaroz [Simulation] (Iran, Regie: Abed Avest)

Ich nehme es vorweg, abgesehen von der frappanten visuellen Umsetzung (kein Set im eigentlichen Sinne, nur ganz vereinzelte  grün eingefärbte Kulissen-Elemente in einer großen schwarzen Halle) ist es die nonlineare Erzählstruktur, die diese Geschichte so faszinierend macht. Faszinierende Versuchsanordnung statt klassische. Erzählkino.

Reduziert auf das Notwendigste und trotzdem hoch intensiv

Samstagnachts in einer Polizeistation in der iranischen Grenzprovinz. Drei junge Freunde und ein Mann etwas älter als sie werden nach der Festnahme verhört. Aussagen widersprechen sich schnell. Wurden sie nun eingeladen? Kennen sie den anderen Mann – oder wollten sie bloß bei ihm einbrechen? Die Situation eskaliert, als das Verhör handgreiflich wird und auch noch verbotenerweise die Schwester eines der verhafteten nebst kleiner Tochter erscheint. Schnitt und Sprung auf:

Wenige Stunden zuvor – die jungen Männer überlegen, wie sie sich die Gastfreundschaft zu dem Mann erschleichen sollen. Langeweile an einem Wochenend-Abend ? Oder doch böses im Schilde. Immer fährt die Kamera nach kurzem Einfrieren des Bildes auf eine andere Perspektive. Immer wieder müssen wir das Gesehene und die Dialoge neu bewerten. Wer führt hier was im Schilde? Die vermeintliche Story ist weder eine gerade Linie, noch ein Kreis – sondern eine Ellipse.

Und so führt uns Regisseur Abed Avest vor Augen, dass es verworren, vielleicht aber auch unmöglich ist,  das kostbare Gut “Wahrheit” zu sondieren.

Randnotiz: verkopfte Fragen im Q&A sind zum Glück nicht nur eine Domäne deutscher Fragesteller: Als jemand auf Farsi fragt, wie denn nun die Reihenfolge der Ereignisse war = was der Anfang und das Ende der Story war, entgegnet Abed Avest salomonisch: “Der Film begann in Minute 1 und endete in Minute 84.” Touché.

Mr. Long (China, Regie: Sabu)

Long ist ein eiskalter Profi-Killer im taiwanesischen Khaoshung. Nach einem missglückten Auftrag im für ihn fremden Japan muss er verletzt in einem Slum am Rande einer Metropole Schutz suchen. Dort freundet ein von seiner drogensüchtigen Mutter vernachlässigter kleiner Junge sich mit ihm an. Nicht zuletzt, weil Long -langsam von seinen Verletzungen genesen- lecker kochen kann. Darauf wird bald auch die erweiterte Familie des Knaben aufmerksam. Welche ihn zunächst privat einspannt, ihn bald auf herzlich-aufdringiche Art nötigt, einen mobilen Imbiss-Stand aufzumachen. Ohne Papiere, Geld oder Sprachkenntnisse fügt er sich, lässt die Mischpoke sogar sein kleines Heim renovieren. Er sorgt sogar dafür, dass die Mutter des kleinen von der Droge loskommt, erwehrt sich aber aufkommenden Gefühlen der jungen Frau. Und noch immer muss er vermuten, dass man ihm noch auf den Fersen ist.

Long kocht sein eigenes Süppchen

Dass Mr Long, wunderbar stoisch dargestellt von Chen Chang, über den gesamten Film vielleicht fünf Sätze Dialog hat liegt nicht nur an seiner professionellen Coolheit des Titelhelden – aufgrund der Sprachbarriere versteht der gestrandete Taiwanese einfach keinen der wohlmeinenden Japaner – fügt sich aber fast Buster-Keaton-haft seinem Schicksal. Eine abstruse Ausgangslage, ein Setting, das die Grenzen der Glaubwürdigkeit strapaziert. Doch die meiste Zeit  und unterhält uns dabei prächtig. Komik konterkariert hier die ausweglose Situation des Killers außerhalb seines Elementes.

Gegen Ende schafft es der Regisseur dann noch, uns einen Stich ins Herz zu setzen. Das Ende drückt ein wenig auf die Tränendrüse, ein Showdown gerät nicht nur drastisch sondern unglaubwürdig – doch da ist man nach zwei Stunden schon dem eigenwilligen Charme der Geschichte erlegen.

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