Berlinale 2024, Tag 10: Abschied, Ehegefängnis und – Flucht ins TV

Früher habe ich schonmal am letzten Tag dem Affen sozusagen Zucker gegeben. Dieser erste Fiilm von Tag 10 allerdings lässt mich auch nach Tagen nicht los. Sicherlich das Ergreifendste, das sich in vielen Jahren Berlinale erlebt habe.

In Liebe, Eure Hilde (Deutschland, Regie: Andreas Dresen)

Eine Kleingarten Kolonie in Berlin, 1942. Autos fahren vor, Beamte nehmen eine junge Frau mit. Wie lange es dauern würde, fragt sie. “Das hängt ganz von Ihnen ab”, sagt der scheinbar gutmütige Beamte.

Hilde Coppi hat zusammen mit ihrem Mann Hans und ihren Freunden Flugblätter verfasst, Plakate überklebt und vom ‘Feindsender’ Radio Moskau Nachrichten von Kriegsgefangenen an deren Familien geleitet. Wissend, dass dies in Nazi-Deutschland tödliche Risiken birgt.

Es geht zu Verhören, Hilde kommt in Haft. Ihr und auch denen, die sie auf den Gängen wieder trifft, wird bald klar, dass es schlimm um sie alle steht. Einzig HIldes Schwangerschaft und Stillzeit verschaffen ihr noch wenige Monate Aufschub.

Die tragische Geschichte, die Andreas Dresen hier in seiner gewohnt humanen Art inszeniert, konzentriert sich voll und ganz auf ihre Hauptfiguren, dass es Menschen wie du und ich gewesen sind.

Kein Dokudrama herkömmlicher Art, keine cinematischen Aufmärsche oder Bombennächte, selten Entgleisungen und niemals Überzeichnung – die Lage wirkt auch so, im Angesicht von kalter Verblendung, von staatlicher Übermacht desparat genug.

© Frederic Batier / Pandora Film

Mit der Darstellung von Liv Lisa Fries anfänglich noch etwas fremdelnd, wird ihre (wie auch Hildes) Metamorphose und mit ihr die dargestellte Ära stetig immersiver. Andreas Dresens wichtiger Film zeigt ein Deutschland, in der nur noch wenige ihrer Menschlichkeit treu bleiben und sich unter Lebensgefahr gegen ein unmenschliches und allgegenwärtiges Regime auflehnen. Jedes “das darf man ja nicht mehr sagen” in Polit-Diskursen der letzten Jahre scheint umso höhnischer.

Beachtenswert die Entscheidung, das nuancierte Drehbuch Reste von Menschlichkeit inmitten der totalitären Inhumanität andeuten zu lassen. Auf den Spuren von Christopher Nolan übrigens, geht in die Narrative nonlinear in zwei Richtungen: Das, was Hilde Coppis Verhaftung folgt und, parallel dazu, auf Hildes und Hans’ Vorgeschichte zurück blickend – von ihrer Untergrund Tätigkeit bis hin zurück auf ihr Kennenlernen bei einer Laubenfeier.

Ohne große Vorinfo in den Film gegangen, frage ich mich nach den unerträglich ergreifenden letzten Szenen, was aus diesem Sohn wohl geworden ist. Als wir ihn dann, den Epilog in liebevollem Ton über seine Mutter… da verliere ich ein weiteres Mal die Fassung.

So mancher sitzt auch nach Abspann und Schlussapplaus, ringt noch mit den Tränen. Hiernach zum weiteren Tagesprogramm über zu gehen – erscheint fast unmöglich.

 

Des Teufels Bad (Österreich/Deutschland, Regie: Veronika Franz & Severin Fiala)

Hinterwäldliches Oberöstereich, circa 1750. Die noch lebensfrohe Agnes wird mit dem Fischer Wolf verheiratet. In dessen Haus und Hof findet sie sich bald unter den kritischen Augen ihrer Schwiegermutter.

Nichts wünscht sich Agnes so sehr, wie ein Kind zu bekommen. Doch sie kann nicht ahnen (wir durch dezente Andeutungen schon), dass der ansonsten gutmütige Wolf mit ihr nichts anfangen kann…

Agnes bleibt mit ihrer Eigenheit in der Dorfgemeinschaft eine Außenseiterin. Unter Lieb-und Kinderlosigkeit leidend, sieht sie bald nur noch einen drastischen Ausweg aus ihrem Lebens- und Ehegefängnis. Spoiler: Selbstmord ist es nicht, denn der führt die damals ausnahmslos Strenggläubigen direkt in die Hölle.

 

© Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

Wie dieser Historienfilm (basierend auf intensiven Geschichtsforschungen) dieses Dasein vor gerade mal 250 Jahren und auf unserem Kontinent darstellt, wurde von der diesjährigen Jury mit einem silbernen Bären für die Bildgestaltung von Martin Gschlacht gewürdigt.

Es ist das Verdienst der Regisseure, diese Zeit und ihre heute unfassbaren Traditionen und Bräuche zum Leben erweckt zu haben.

 

I saw the TV glow (USA, Regie: Jane Schoenbrun)

Suburbia, USA, 1996. Der in sich gekehrte Schüler Owen wird seinen Eltern über-behütet. Zusammen mit Mitschülern sehen wir ihn nie und TV ist seine Wahl-Realität. Dabei hat Owen strikte Bettzeiten und darf Serien, die bei anderen Schülern hoch im Kurs stehen somit  nicht. Die etwas ältere Maddy macht ihn auf die derzeitige Kultserie “Pink Opaque” neugierig, erzählt wie toll dort zwei Mädchen gegen mystisch-übernatürliche Mächte kämpfen.

Maddy bietet Owen (der im Film der Erzähler ist) an, die begehrte Serie wochenends abends bei ihr zu schauen und so täuscht Owen seinen Eltern eine Vielzahl von Sleepovers vor. Später taucht er durch von Maddy geliehene Videokassetten noch tiefer in das Serienuniversum ein.

Als Maddy, die mit ihren Eltern seit je über Kreuz lag, eines Tages spurlos verschwindet und kurz danach die Serie eingestellt wird, bricht für Owen nicht nur ein Teil seiner Welt weg. Irgendwie ist seine Zeit als Teenager bald Geschichte.

Jahre später, nachdem wir Owen als offenbar ziellosen Heranwachsenden, dann als vorgeblich zufriedenen Erwachsenen sehen, erscheint seine einzige wirkliche Vertrauensperson auf rätselhafte Weise wieder und offenbart ihm, dass alles ganz anders gewesen sei – und seine Realität eine Fabrikation.

© A24

Inszenatorisch und bildsprachlich zwar einheitlich und lange Zeit ansprechend, erkennt man in “I saw the TV glow” Nachvollziehbares, vor allem wenn man selbst die Welt erlebt hat, die noch kein Streaming oder Internet kannte und in der serielles TV, die Haupt-Unterhaltungsquelle war. Und in der das Einstellen einer geliebten Serie dem Teileinsturz der Welt kam. Nicht zuletzt, weil nicht hundert andere on demand warteten…

Mit der Zeit wirkt dann doch so manches zu ausgedacht, konstruiert – gewollt? Auch späte, bizarre Schockmomente tragen kaum zur Klärung bei.

Die Tragik (abgesehen von der behaupteten im Plot) des Filmes ist, dass wir irgendwann nicht mehr im klaren sind, wer denn hier nun von beiden der “unzuverlässige Erzähler” im Sinne von Storykonvention ist.

Das hat gewisse künstlerische Tiefe – lässt einen jedoch nach der gefühlt langen Laufzeit des Filmes unerfüllt zurück. Wie eine TV-Serie, die ohne Schluss eingestellt wird.

Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn der Zuschauer von ‘was-kommt-als-nächstes’ auf ‘noch-nicht-zuende?’ wechselt. Regisseurin und Autorin Jane Schoenbrun wählt einen wohl zu umfangreichen, zumindest sehr langen Weg eine Story zu erzählen, die mehr Drive vertragen hätte – und (im Paradox zum Gezeigten) in TV oder Streaming wohl kaum die benötigte Aufmerksamkeit finden wird.

Einen no-feelgood Tag kann ich ja verkraften, wenn es mich emotional so bewegt wie ganz oben beschrieben. Ein (für mich) historisch unterwältigender Festival Abschlussfilm.

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