Seven Veils (Kanada, Regie: Atom Egoyan)
Eine späte Wahl, “Berlinale Special Gala” ist nicht immer meine erste Wahl, weil ich die Sektion nicht verstehe – und hier für meinen Begriff Prestige-Filme lanciert werden. Opernkenner werden mit diesem Film durchaus mehr als andere genießen.
Die Jungregisseurin Jeanine soll in Toronto die Wiederaufnahme einer erfolgreichen Opernproduktion leiten: Richard Strauss’ “Salomé” – in einer Inszenierung, mit der Jeanines väterlicher Mentor (und wie wir später erfahren auch einstige Liebhaber) vor seinem Tod großen Erfolg genoss.
Jeanine ihrerseits lebt in Trennung von ihrem Ehemann, sie war zudem Opfer von Kindesmissbrauch durch ihren eigenen Vater. Ihre Mutter hat beginnende Demenz und das Geschehene verdrängt. Ihr Mann hätte Jeanine “zu sehr geliebt”.
Die Querelen in den Proben (nicht unähnlich Istvan Szábós “Zauber der Vernus”) mit sich einmischender Theaterleitung, rebellierenenden Sängern als auch Jeanines einstige Beziehung zur immer noch in sie verstiegenen Requisiteurin sind da mehr als bloß Tropfen, die ein Fass zum Überlaufen bringen können.
‘Life imitates Art far more than Art imitates Life’ postulierte Oscar Wilde (übrigens Autor des zu Grunde liegenden Bühnenstückes) einst. Die im Film dargestellte Produktion von “Salomé” – ebenso wie die Tatsache, dass die idealistische Jeanine mit ihrer Vorgeschichte diese zu leiten bereit ist – das an sich ist schon eine Grenzüberschreitung der kompletten Art.
Plot und Backstory-Verstrickungen dieses durchaus sehenswerten, Grenzen verwischenden Filmes sind fast schon überfrachtet. Amanda Seyfrieds fesselndes Spiel als Jeanine ist es vor allem anderen, was das Ganze in Nachvollziehbarkeit erdet.
Pa-myo | Exhuma (Südkorea, Regie: Jang Jae-hyun)
Hwa-rim ist mit ihrem Kollegen Bong-gil eine gefragte Spezialistin für Okkultes. Die junge Shamanin wird nicht nur gerufen, wenn Angehörige sich um Seelen verstorbener Familienmitglieder sorgen. Sie arbeitet dabei hin und wieder mit einem Bestatter und einem erfahrenen Geomantiker zusammen – der die Gabe hat, Orte und Böden spirituell zu lesen.
Ihr aktueller Klient, die Familie eines reichen Industriellen, hat ein Baby was nicht mehr zu schreien aufhören will. Wie sich heraus stellt jedoch auch ein dunkles Kapitel in der Familienhistorie. Kollaboration mit dem damaligen japanischen Feind.
Wir erfahren, dass Exhumierungen und Neu-Begräbnisse in der südkoreanischen Kultur gebräuchlich sind, wenn beim ersten Mal nicht alles spirituell richtig gemacht wurde. Doch was Hwa-rim und ihre Konsorten da, auf einem entlegenen Berggipfel, beim Ausgraben ans Tageslicht bringen, das übersteigt alles was selbst diese Profis jemals erlebt haben.
Jang Jae-Hyun (Regie und Drehbuch) nimmt sich in diesem mystizistischen Film hier unerwartet und wohltuend Zeit um das Epos zu entwickeln. Wer hier konventionellen Asia-Horror oder jump scares im Zehnminuten-Takt erwartet, hat den falschen Film gebucht – kann allerdings etwas über konsequentes Storytelling lernen. Und darüber, wie wichtig viele südostasiatische Kulturen das Totenreich nehmen.
Khamyazeye bozorg | The great yawn of history (Iran, Regie:
)Aufgrund der dortigen politischen Lage kommen Filme aus dem Iran bisweilen durchaus verklausuliert daher. Sich wie Parabeln nur im Subtext offenbarend.
Der in die Jahre gekommene Beitollah hat eine persönliche Mission. Mit zufällig auf der Straße platzierten Notizen auf Geldscheinen sucht er eine Begleitung. Beitollah wählt den im Waisenhaus aufgewachsenen und auf der Straße lebenden Shoja aus den Bewerbern. Wie Beitollah später sagt, weil Shoja bekundet an nichts (mehr) zu glauben.
Beitollah bleibt Shoja auf der Fahrt ins iranische Hinterland (immer wieder Hinterland!) zunächst Antworten schuldig – Shoja hätte doch gesagt, er würde alles, wirklich alles tun. Tatsächlich hat Beitollah geträumt in einer Höhle eine Kiste mit Goldmünzen zu finden. Wo, das hätte er nicht sehen können.
Die Odyssee der Beiden gestaltet sich unergiebig: Stets vermeldet Beitollah, wenn sie wieder eine Höhle auf ihren Wanderungen in Berg und Tal finden, “Diese ist es nicht”. Dafür verwunderte Fragen der Einheimischen, die Unterkunft und ihr Spärliches einigermaßen gastfreundlich teilen.
Zwischen dem Gespann mit latenter Vater-Sohn-Dynamik entspinnen sich einige quasi philosophische Dialoge. Beide verlieren stufenweise die Hoffnung. Als sie ihre erratischen Wanderungen in den Einöden mehr als einmal an den Rand tödlicher Erschöpfung bringen, beklagt irgendwann Beitollah sein Los, nach all den Mühen seines Lebens mit nichts mehr dazustehen.
Für einen späten Berlinale-Tag bin ich einigermaßen’dran’ am what-happens-next dieser Story, die bemerkenswert karge Weiten iranischer Berg-und Wüstenlandschaften zeigt. Doch weder für uns noch für die Protagonisten wird diese erratische Odyssee endlich belohnt.
Die in meinem Vorwort erwähnte Symbolik quasi mitdenkend, sieht man über einige Inplausibilitäten hinweg. Direkt im Schluss wird “Für meinen Vater” eingeblendet.