Berlinale 2019, Tag 8: Kurzes, Psychosen und eine Filmstudentin

vorlauf

Kurzfilme – Generation14

Wenigstens einmal wollte ich dies Jahr in die Kurzfilme testen. Zählte dann jedoch 8(!) in diesem Programm. Würde man da noch den Überblick nach gut 2h haben? Doch, wenn man schon vermessen genug ist, 10 Tage komplett für Kino frei zu räumen, warum nicht ?

In “L’empire  perfection” wurde letztes Jahr philosophiert, im Film gehe es (wie im Sport) um die Gestaltung und Kontrolle von Zeit. Da darf man sich mit Verlaub wundern, was von Kurzfilm-Regisseuren aus der begrenzten Ressource gemacht wird. Durchaus auch im Positiven. Doch so manches mal denke ich mir – wenn das jetzt ein Langfilm wäre, ok – doch: kommt jetzt noch was? Nicht immer tut es gut, sich dramaturgisch auf Alltagsbeobachtungen zu verlassen. In aller Kürze:

“Mientras las olas ” (ARG, Regie: Delfina Gavaldá,Carmen Rivaira), in dem ein emotional gestrandetes Mädchen endlich ihren Frust heraus schreit.

“Liberty” (USA, Regie: Faren Humes) Zwei Freundinnen müssen damit umgehen, dass die Zwangsräumung ihres Viertels sie bald womöglich trennen wird.

Four Quartets (GB, Regie: Marco Alessi), wo wir charmant in Szene gesetzt einen hoffnungsvollen Jugendlichen bei den Vorbereitungen zum und dann beim folgenden Club-Treiben sehen.

Der Animationsfilm “Story” (POL, Regie: Jola Bankowska),  der in irrwitzigem Tempo sehr treffend Auswüchse des Online-und Smartphone Zeitalters karikiert.

“Kids” (CH, Regie: ), der animierte Strichmännchen kunstvoll-existenzialistisch gegeneinander antreten lässt.

aus: Four Quartets (c) Marco Alessi

“Hush” (NZ, Regie: ) in dem eine junge Frau nach einer Abtreibung in ihre alte Heimat zurück kehrt – und ihre Vertrauten durch Verschlossenheit und Melancholie befremdet.

“Tigre” (F, Regie: Delphine Delaget) hat sich eine Freundin von der anderen emotional entfernt. Die Trennung eskaliert…in einem Safaripark (siehe Titel)!

Und mein persönlicher Favorit: “Tattoo” (Iran, Regie: Farhad Delaram), in dem eine junge Frau sich bei der Verlängerung ihres Führerscheines peinlichen und patriarchalisch-bevormundenen Befragungen ausgesetzt sieht. Nur, weil sie nach eine Hauttransplantation Narben am Handgelenk und Tättowierungen hat. Bildkomposition und Schnitt: Exzellent.

Da die meisten der Filmer ganz am Anfang ihrer Karriere stehen, erspare ich mir hier weiter gehende Kritik. Erwähnenswert jedoch die Tatsache, dass Marco Alessi nach eigener Aussage eigentlich von der schreibenden Zunft kommt. Als er jedoch erkannte, dass der Plot von “Four Quartets” wohl nur visuell darstellbar ist, wechselte er nolens volens das Metier.

 

Demons (Singapur, Regie: Daniel Hui)

Was ist das nur in diesem Jahr? Ich komme mit meiner Filmauswahl scheinbar auf keinen grünen Zweig. Wie gestern um die gleiche Uhrzeit eine weitere Schlappe.

Die hoffnungsvolle Jungschauspielerin Vicki, die unbedingt ein eine Bühnenproduktion des Regisseurs Daniel will. Der Plot insinuiert, sie wäre dazu sexuell ausgenutzt worden. Bald darauf  erlebt sie befremdliche und horrorartige Phänomene. Realitäts-und Identitätsverlust.

Gegen Mitte der gut 80 Minuten (die einem -schon wieder einmal- deutlich, deutlich länger vorkommen) wechselt die Perspektive des Filmes komplett auf den zuvor beschuldigten Regisseur. Dieser findet sich alsbald ähnlichen Erscheinungen ausgesetzt. Er hört Stimmen und Geräusche. Sein Funding wird gestrichen, absurde Vorhaltungen werden gemacht. Er wird verhört zum Verschwinden der Schauspielerin (ihre Wohnung bewohnt jetzt jemand anders, angeblich seit Jahren) -und es gibt Verdächtigungen auf Kannibalismus (!)

Auch Daniels kann seine Welt kaum noch verstehen, auch ihn verfolgen immer krassere Visionen. Das liest sich jetzt alles interessanter als es ist. Denn die irrlichternde Dramaturgie geht mit den zeitweiligen Schockelementen Hand in Hand. Bis zum symbolistischen Schluss.

Und vielleicht färbte das auch auf die Wahrnehmung der schauspielerischen Darbietungen ab: Natürlich-charismatisch – oder dilettantisch? Ich mag es nicht entscheiden.

(c) 13 Little Pictures

Auf ein plausibles Ende, genau genommen auf irgend etwas plausibles hofft man irgendwann schon gar nicht mehr. Stetig gab es in der Vorstellung Walk-Outs, am Ende war das nur Publikum um gut 20 Personen geschrumpft. Einige der verbliebenen Zuschauer waren dann offenbar durchaus angetan und räsonierten und interpretierten im Q&A mit dem Regisseur Daniel Hui.

Ein “me too” Kommentar? Eine Satire des Kunstbetriebes? Grenzgeniale Momente reihen sich hier an banales bis (womöglich ungewollt?) komisches.

Übrigens auf Film gedreht, aufgrund der Körnigkeit tippe ich auf 16mm. Ausleuchtung und Szenen-Design lassen “Demons” immer wieder wie aus der Zeit gefallen erscheinen: Wüsste ich es nicht besser, hätte ich den Film auf frühe 80er datiert.

The Souvenir (Großbritannien, Regie: Joana Hogg)

Julie möchte Film studieren. Wir befinden uns in den frühen 80er Jahren, in London. Ihre Eltern, gut betucht, helfen der 24jährigen ein ums andere Mal finanziell aus.

Ihrer Sache scheint sie jedoch noch alles andere als sicher zu sein. Ist dies ihr Lebenswunsch?

Gerade weil er dies kritisch aber wohlwollend in Frage stellt, ist Julie vom etwas älteren Anthony fasziniert. Der ist lakonisch-enigmatisch, ein Typ der Julie mehr und mehr fasziniert. Anthony arbeitet im britischen Außenministerium, hat Stil, Anspruch …und ein Drogenproblem. Was Julie jedoch spät heraus findet, bzw. zu spät wahr haben will.

Es muss erst zu ernsthaften Krisen kommen, bis sie ihre erst langsam aufgekeimte, dann jedoch innige Beziehung zu ihm in Frage stellen wird.

(c) Nicola Honor

Die Stärke von “The Souvenir” sind die differenziere Charakterzeichnung und die authentisch wirkenden Dialoge.

So nachvollziehbar und hineinziehend der Plot hingegen auch ist: Bei der Dramaturgie holpert es hier und da. Bei aller Liebe zum Mitdenken und (siehe vorgestern) show, don’t tell … So manche Andeutung wird nicht aufgelöst, einige Plotpunkte sind schlicht unplausibel.

Die solide Kameraführung (mit einigen brillanten Perspektiven) sowie die emotionale Entwicklung, welche wir durch Honor Swinton Byrnes charismatisch-natürliches Spiel erleben, retten das Ganze auf ein doch noch überdurchschnittliches Niveau.

Übrigens: passend zum 80er Setting ganz offensichtlich auf Film gedreht, noch dazu auf teilweise recht körnigem. Der Look passt in der Tat besser zum Setting in den 80ern als die ab und zu Alibi-mäßig eingeschobenen Popsongs der Ära.

 

Nach dem Tagesprogramm nun noch ein kurzer Exkurs:

Regisseur Dominik Graf äußerte sich kürzlich in einem Interview zur digitalen Restaurierung seines Films Die Sieger dahin gehend, dass er die digitale Archivierung von Alt-Werken keiner Archivierung vorzöge. Doch den Wechsel zu nur noch digitaler Aufzeichnung hält er für eine Katastrophe hält. 

Auch für das ungeübte Auge erkennbar, wird zum Einen die Mehrzahl heutiger Independent Filme nur noch auf digitalem Material gedreht. Hinzu kommt, dass ganz offenbar häufig keine sichere Hand für Format- bzw. Parameterwahl der digitalen Kameras besteht.

Puristen halten überdies 24Bilder pro Sekunde für den einzig wahren Film-Look. Die latente Bewegungsunschärfe in dieser Bildfrequenz hat sich in der Tat beim Zuschauer eingeprägt – wir nehmen es als authentisch an. Wenn nun, wie wiederum augenfällig, digital-nativ höhere Bildraten gewählt werden, kommt es nicht nur zu einem hyperrrealen Look. Häufig erzeugen durch (hier zu aufwändig zu erklärende) elektronische Prozesse in der Kamera  Artefakte und seltsame Effekte.

Gestern sah ich z.B. in “Nasht” ein Auto in einer Totalen in Querfahrt vor und zurück ruckeln. Heute, in “Tigre” war aufgrund der zu hoch gewählten Licht-Empfindlichkeit ein Blättermeer von Baumkronen ungewollt am zucken.

Letztens fehlt es scheinbar in der Postproduktion so manches Mal an Zeit, Talent oder Budget für ein Color Grading. Die digital von non-Profi Digitalkameras dargestellten Farbräume gemahnen hier und da an home videos.

Vielleicht braucht es beim Siegeszug dieser Technik einer Entwicklung wie im frühen Farbfilm des letzten Jahrhunderts. Wo erst ein Bewusstsein geschaffen werden musste, was natürlich aussieht – und wie man das hinbekommt.

 

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