Isabella (Argentinien/Frankreich; Regie: Matías Piñeiro)
Wir sehen die Schauspielerin Mariel in verschiedenen Stationen während und nach ihrer Schauspielkarriere. Bei Vorsprechen, die sie mehr als einmal nicht für sich entscheiden kann. Bei der Assistenz an einer anderen Theaterproduktion. Bei selbstzweifelnden Gesprächen mit einer Freundin. Ihren Bruder wieder einmal um Geld bittend.
Scheinbar immer wieder begegnet sie immer wieder der jüngeren Kollegin Luciana, die ihr scheinbar bevorzugt wird. Scheinbar, weil der Film konsequent non-chronologisch montiert ist, teilweise Bildfolgen nach einiger Zeit wiederholt.
Sehen wir die hier die Routinen und die Selbstzweifel Mariels an ihrer Berufswahl – oder Mariel in Form Lucianas an einem anderen Punkt ihres eigenen Lebens? Das Vexierspiel von Autor und Regisseur Matías Piñeiro entwickelt zugegeben bei aller (zunächst aufgesetzt erscheinenden) Segmentierun eine gewisse Faszination…ohne uns jedoch völlig zu vereinnahmen. Von rätselhafteren und doch zwingenderen Werken wie Michael Hanekes ‘Code inconnu’ ist er noch etwas entfernt.
Doch – Stichwort ‘zugeben’: Vielleicht hätte der Film außerhalb meines persönlichen Film-Marathons größere Chancen gehabt, tiefer zu wirken…
A l’abordage (Frankreich, Regie: Guillaume Brac) …statt von der Berlinale meine Übersetzung: “Klar zum Entern”
Felix, von Beruf Altenpfleger, hat sich bei einem Sommerfest an der Seine in Alma verknallt. Am nächsten Morgen muss die Angebetete überstürzt los. Abreise in den Sommerurlaub mit Familie in Südfrankreich.
Der dynamische junge Mann überzeugt seinen Kunpel Chérif, ihn auf einen spontanen Trip zu begleiten: Er will Alma hinterher fahren und sie überraschen!
Dass das keine brilliante Idee ist, ahnen wir bereits. Eine Überraschung erlebt auch Édouard, als die beiden strammen Männer sagen, sie seien seine Fahrgemeinschaft. Chérif und Felix hatten den Account einer Freundin benutzt…
Im Süden angekommen, kommt Édouard nach einem Malheur mit dem Auto erstmal nicht mehr weg… und quartiert sich auf dem Campingplatz notgedrungen bei seinen neuen Bekannten ein. Die das scheinbare Muttersöhnchen zunächst nicht ganz für voll genommen haben. Doch die nächsten Tage stellen nach und nach Alle vor diversen Herausforderungen.ahmen.
Im Grunde sehen wir eine beliebige Geschichte, die gar nicht mehr sein will als eine kleine Sommerkomödie. Doch das mise-en-scene ist einnehmend charmant.
Die frische Brise, die spürbar durch den Film weht kann man durchaus genießen. Was sich dann im weiteren Verlauf an Verwicklungen und kleinen Abenteuern ergibt, ist von Guillaume mit einem gekonnten Maß an Drolligkeit ohne Fehl und Tadel in Szene gesetzt. Ganz anders als gestern abend, hüstel. Hier entwickeln sich tatsächlich nachvollziehbare Charaktere im Verlauf des Films, werden uns in ihren Macken und Eigenheiten immer sympathischer.
Wie auch die Charaktere benutzten die Jungschauspieler Improvisation bei der Skriptentwicklung mit dem Regisseur und Co-Autor. Guillaume Brac von ihrer Schauspielschule gebeten worden, etwas für die baldigen Absolventen zu schreiben, damit sie ihre Talente beweisen können. Chapeau.
Namo [Alien] (Iran, Regie: Nader Saeivar)
Bakhtiyar ist Oberschul-Lehrer in einer iranischen Provinzstadt. Von den Kollegen geachtet und Schülern respektiert, hofft er auf eine Vollstelle versetzt zu werden. Auch damit er als zweifacher Vater das Taxifahren aufgeben kann.
Er sieht sich allerdings eine Schul-Examinierung entgegen. Denn er und seine Familie aus dem Kurdischen stammen, er vermutet sich unter besonderer Aufmerksamkeit. Um nicht zu sagen: Überwachung. Seit Wochen parken vorm Haus zwei immer gleiche Männer mit einem Auto. Einige Nachbarn befürchten, sie seien gemeint. Andere betrachten Bakhtiyar mit nun zunehmendem Misstrauen.
Regisseur Nader Saeivars dunkles Porträt eines in seiner Situation Gefangenen wirkt wie ein Raum aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint. Teils lang gehaltene Einstellungen und Szenen bestimmen die Dramaturgie.
Saeivars ruhiger Antiheld, der titel gebende Fremde, begehrt nur selten auf, bis zuletzt hoffend, dass er sich arrangieren kann. Doch die Entscheidungen scheinen längst gefallen.
Hauptdarsteller Bakhtiyar Panjeei lässt uns die insgeheime Resignation fortwährend spüren.
Služobníci [Servants] (Slowakische Republik/Rumänien/Tschechische Republik/Irland; Regie: Ivan Ostrochovský)
Ein Priesterseminar in der Tschechoslowakei, 1980. Mit Hoffnung und Hingabe treffen die Jungen Michal und Juraj dort ein, um ihre Ausbildung zu beginnen.
Bald werden sie erkennen müssen, dass auch hinter diesen alten Mauern der Staat seine Augen und Ohren hat. In den Reihen der Kirche vermutet die Staatssicherheit Oppositionelle und gängelt den Klerus. Die idealistischen Priesterschüler fragen sich allesamt wem man trauen kann. Dekan, Präfekte, Sekretäre, zunächst Vertrauenspersonen, werden bald zu Gegenspielern. Ein beträchtlicher Teil der katholischen Kirche machte in der damaligen CSSR als Organisation “Pacem in Terris” mit dem kommunistischen Regime gemeinsame Sache…
Drohungen, Verhöre, konspirative Treffen, ein Hungerstreik…einer von ihnen wird am Ende einen ultimativen Schritt tun.
In exakten Einstellungen und strengen Szenen zeichnet Ivan Ostrochovský ein immer beklemmender werdendes Bild. Großen Anteil hat daran auch der fantastische Soundtrack, der mit ungewohnten Arrangements, lang gehaltenen Akkorden sowie dröhenden, zumeist atonalen Crescendi die Beklemmung spürbar werden lässt.
So ein Film als Betthupferl, na ja. Doch schade, wenn ich ihn versäumt hätte. Durchaus ein Argument für die neu eingeführte Sektion “Encounters”…