Berlinale 2023, Tag 3: Dystopie und Prototyp

The Survival of Kindness (Australien, Regie: Rolf de Heer )

Eine gasmasken-tragende Bande setzt eine dunkelhäutige Frau inmitten einer Wüste aus. Eingesperrt in einen Käfig, nur mit Fetzen am Leib, offenbar um zu verenden. Nach erster Resignation gelingt es der Frau mit viel Mühe, sich zu befreien. Sie marschiert los, und mit ihr treffen auf einsiedlerische und offensichtlich Überreste einer Gesellschaft.

Je näher sie den Anderen -Zivilisation kann man die überwiegend entvölkerten Siedlungen eigentlich nicht mehr nennen- kommt, desto mehr muss die Frau aufpassen. Denn in diesem apokalyptischen Wasteland gilt nur ein Recht: Die Gasmasken-Träger stellen die chauvinistisch und brutal herrschende Rasse. Auch wenn wir diese nie ohne die Atemhilfe sehen, müssen wir annehmen dass es die Hellhäutigen sind. Denn alle Unterjochten und willkürlich Massakrierten sind durchweg anderer Hautfarbe.

Allerdings kann denen eine Pest-artige Krankheit, an der Hellhäutige ohne Maske erkranken offenbar nichts anhaben. Die Protagonistin verbirgt sich fintenreich nahe einer Siedlung, wird später gefangen und von zwei anderen Überlebenskünstlern befreit. Ist sie auf einer (Rück-)Reise?

© Triptych Pictures

Keiner spricht eine Sprache, die wir als solche (er)kennen. Und für die verschiedenen Fraktionen klingt das Gegenüber wie Kauderwelsch, das bestenfalls mit freundlichem Achselzucken quittiert wird.

Der Überlebenskampf dieser Reisenden lässt einen nicht kalt, so mysteriös und undurchdringlich diese Dystopie auch ist. Ausbeutung, Unterdrückung, Verrohung, Umweltkatastrophe: Rolf de Heer hat hier keine Lösung, der schonungslose Blick auf die Folgen eines üblen Lauf der Geschichte.

‘If you have a message, send a telegram’ wird Film-Mogul Samuel Goldwyn zugeschrieben. Doch gerade in diesen Zeiten mag man vermuten, wie viel Menschlichkeit man verlieren muss, um in so einer Welt zu enden. Und wo wir uns selbst verorten.

Für das Ende dieser Handlung benutzt das Skript zwar einen unbeliebten Kniff, es ist jedoch (vorher vermutet man Plot Ungereimtheiten) leider konsequent.

Mit einer minimalen Crew gedreht, war auch das überwiegende Open-Air Setting den Beschränkungen während der Covid Pandemie geschuldet, berichtet Regisseur de Heer. Und die eindringliche Schauspiel-Debütantin Mjawemi Hussein dankt ihm für das Vertrauen – und möchte unbedingt weiter machen.

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BlackBerry (USA, Regie: Matt Johnson)

Ob nun große Künstler oder Erfinder: Geschichte schreibenden Heureka-Momenten liegt in Filmen unwiderstehlicher Zauber inne. Sowohl für die Macher als auch das Publikum. Auch wenn der Ausgang der Geschichte (Marktanteil Blackberry dereinst 45%, heute: 0%) kennt, haben Filme wie dieser ihren Reiz. Mittlerweile eine ganze Generation vergisst langsam:

Es gab ein Leben vor dem Smartphone. Hier beginnt die Handlung des Filmes, als die kanadischen Tüftler Mike Lazaridis und Doug Fregin mit einer Truppe Nerds in einem Büro über einem Einkaufszentrum Modems designen. Und vertreiben…wenn sie denn mal bezahlt werden.

Mitte der 90er Jahre ist ihre Vision jedoch ein Handy, das weitaus mehr kann als jemals zuvor. Das will zu dem Zeitpunkt jedoch kein Mobilfunkanbieter hören. Denn noch waren es nicht die Hersteller, die den Ton angaben.

Der just geschasste Tech-Manager und hyper-dominante Jim Balsillie hat keine große Wahl und bietet den Beiden trotz ihrer stümperhaften Produkt-nicht-Präsentation eine Partnerschaft an: In ihre Firma “Research in Motion” voll einzusteigen, allerdings auch als Anteilseigner. Da die Firma genau genommen dabei ist, finanziell abzuschmieren, willigen Mike und Dougwiderwillig ein.

Der toughe und hyper-dominante Jim bringt der desorganisierten Tech-Bande die Flötentöne bei – seine deftigen Ansagen sind für diese anarchische Entwickler-Truppe in der Tat eine kalte Dusche. Culture Clash. Andererseits weiß Jim auch, welchen Ton man mit Geschäftspartnern anschlagen muss – und wie man bei AT&T einen Termin bekommt. Jim drängt den Perfektionisten Mike, einen Prototypen zusammen zu schustern, den man AT&T vorstellen kann.

Jetzt schreibt man gewöhnlich ‘der Rest ist Geschichte’. Doch das ist noch nichtmal die erste Hälfte dieser ins Satirische spielenden Business-Farce. Regisseur und Co-Author Matt Johnson (hier auch in der Rolle des Doug) scheut sich nicht vor Drastik und stereotypisierender (Über-)Zeichnung testosteron-schwangerer Momente. Doch der Appeal dieser aberwitzigen Tech-Saga lässt uns sowohl das chargierende Acting von Johnson wie auch seine Frisur in der Rolle Dougs akzeptieren. Wir sind am Haken.

Nachdem bis ungefähr zur Mitte des Filmes die Anekdoten, One-Liner und Pointen manchmal ans Sitcomhafte grenzen, wird der Film dann irgendwann erwachsener, raffinierter. Dem vom verschrobenen Tüftler zum Geschäftsmann mutierenden Mike Lazaridis nicht unähnlich. Aus Spiel wird Ernst – es geht um immer mehr.

Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, sagte Victor Hugo. Der turbulente Beginn der Firma, die als Erster ein Smartphone erfolgreich machte, ist atemlos unterhaltsam zum Leben erweckt. Irgendwann ist es dann allerdings Mike, der die Zeichen der Zeit nicht erkennt: Apples bringt ein Smartphone raus? Völlig falscher Ansatz!

Nachtrag, ein paar Tage später: Gerade sehe ich einen Trailer zu einem Film über die abstruse Entwicklungs- und Veröffentlichungs-Geschichte des Spieles ‘Tetris’.

 

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