Berlinale 2023, Tag 8: Zweimal Spurensuche und Menschen im Hotel

Limbo (Australien, Regie: Ivan Sen)

Hommage oder Referenz? Erstaunlich ist die Entscheidung schon, Simon Baker in der Hauptrolle fast exakt wie Walter White/Heisenberg in ‘Breaking Bad’ aussehen zu lassen…

Der etwas herunter gekommener Kriminalpolizist Travis kommt ins australische Outback, um zu ermitteln ob ein seit 20 Jahren ungeklärter Mord an einer jungen Frau wieder neu aufgerollt werden soll.

Seine Kontaktpersonen, Angehörige und Freunde des Opfers sind zumeist aboriginer Herkunft und Cops -vor allem Weißen- zugeknöpft bis ablehnend. Nicht zuletzt, weil die auseinander gebrochene Familie überzeugt ist, dass seinerzeit bloß lapidar ermittelt wurde und der Fall achselzuckend ad acta gelegt wurde.

Unser unbeirrter Protagonist sucht trotz dessen mit Ruhe und Engelsgeduld ausgestattet alle auf, die etwas wissen könnten. Die harte Tour ist nicht die seine.

Wie im Film noir nicht unüblich, hat sich Ivan Sen (hier ebenfalls Kamera, Schnitt, sowie Musik!) für eine Hauptfigur mit Knacks sowie Drogenproblem entschieden, jemanden der wohl selbst Hilfe bräuchte. Ein Kind sagt irgendwann “Wie ein Cop siehst Du nicht aus.” Travis: “Wie sehe ich denn aus?” – “Wie ein Drogendealer”

© Bunya Productions

Für die Aufklärung lässt sich das Drehbuch so einige Zeit, was allerdings dem feinnervigen Stimmungsbild dieser randständigen Community zugute kommt.

Der angenehm wenig indoktrinierende Film breitet aus, wie die Einwohner hier am Rande des Existenzminimums nebenbei als Opalschürfer über dir Runden kommen müssen. Dabei mehren sich irgendwann die Anzeichen: Dies Verbrechen hätte wohl schon vor Jahrzehnten geklärt werden können – was Licht wirft auf die Marginalisierung dieser Gegend und Volksgruppe.

Die Landschafts-Aufnahmen, teils in ungewöhnlichem Licht und nicht sofort erkennbaren Perspektiven, suggerieren denn auch: Dies könnte genau so gut ein anderer Planet sein.

 

Adentro mío estoy bailando | The Klezmer Project (Österreich/Argentinien, Regie: Leandro Koch, Paloma Schachmann)

Leandro ist mit seinem Job als Hochzeits-Filmer alles andere als ausgelastet. Als den jungen Mann auf einer jüdischen Hochzeitsfeier Paloma, die Klarinettistin der Klezmer-Band auf seine Filmerei anspricht, behauptet er verschämt, Dokumentar-Filmer zu sein. Denn er hat sich in die lebhafte Frau verguckt und gibt vor, er wolle über Herkunft und Geschichte der Klezmer-Musik berichten.

Da es natürlich keine Dokumentation gibt, wird eine erfunden. Auch wenn der Schwindel natürlich frühzeitig auffliegt, machen sich die beiden frisch verliebten mit Budget einer Filmproduktion zur Spurensuche auf eine Reise ins tiefste Osteuropa. In rumänischen und moldauischen Dörfen treffen sie auf urwüchsige und teils hochbetagte Volksmusiker, die wahrscheinlich letzten, die noch Zeugnis von der Ursprüngen der Klezmer-Musik ablegen können. Wenn es auch im eigentlichen Sinne keine Klezmer-Musik (mehr) ist. Dafür hat sich die deren Stile schon wieder zu sehr voneinander entfernt.

© Nabis Filmgroup, Nevada Cine

Langsam ahnt auch der uninformierte Zuschauer: Leandro und Paula spielen hier ihre eigene Geschichte nach, das aufgenommene Material ihres Trips verwendend. Als Glücksfall dürfen sie ansehen, den beredten und mittlerweile dorthin emigrierten Musikologen Bob Cohen getroffen zu haben. Aus seinem Mund erfahren sie und wir vieles über kulturhistorische Zusammenhänge der Traditionsgeschichte einzigartigen Musikform als auch der jiddischen Sprache.

Leben imitiere häufiger die Kunst, als die Kunst das Leben, sagte einst Oscar Wilde. Die Berlinale-Sektion “Encounters” richtet seit einigen Jahren Genre-Übergreifenden Werken Aufmerksamkeit. “Adentro mio estoy bailando” ist gescriptete Doku. Die dokumentierten Ensembles dieser charmanten Hommage machen es schon fast allein sehenswert.

 

Viver mal | Living bad (Portugal/Frankreich, Regie: João Canijo)

Der Zufall wollte es, dass ich diesen Film und “Mal viver” des selben Regisseurs für den späten Abend sowie den frühen Morgen danach buchte. Im Zusammenhang (die Filme sollen sich angeblich ergänzen) prima – aber ob ich am Ende eines langen Berlinale Tages noch wach genug sein würde? Doch mehr als dies: ich war vom Film gefesselt.

Ein in die Jahre gekommenes Landhotel in einer Küstenregion. Drei Gästegruppen treffen ein, ein Paar und zwei Trios. Die meisten sind Stammgäste, doch schon beim Einchecken gibt es ein paar peinliche Situationen. Wir dürfen vermuten, dass in jeder der Parteien es gerade nicht zum Besten steht.

Jungschauspielerin, Star-Fotograf, Industriellen-Witwe, Influenzerin, Geliebte: Während es in anderen Filmen der letzten Tage oft unerträglich mysteriös und künstlich gespreizt daher kam, ziehen hier intensive Dialoge in den Bann, entblättern kunstvoll das dramatische Innenleben der uns zunächst Unbekannten Schritt für Schritt, Satz für Satz.

© Midas Filmes
© Midas Filmes

Das ist Teil dieses Spieles für jeden, der sich jemals gefragt hat, um was es an Nebentischen geht oder was hinter benachbarten Hoteltüren vor sich geht.

Zumal der Film den dramaturgischen Kunstgriff benutzt, uns das gezeigte Wochenende in Episoden dreimal zu erzählen, jeweils aus dem Blickwinkel einer anderen Gruppe. Wobei durch die räumliche Nähe (Nebentisch/Nebenzimmer) immer wieder szenische Überlappungen entstehen. Wir hören in den synchron ablaufenden Gesprächen immer wieder Fetzen, die erst im nächsten Durchlauf das Mosaik ergänzen. Wie dies genial von Inszenierung und Bildsetzung verzahnt wird, das ist schon eine reine Freude.

Während es jedoch im Leben der Protagonisten keinerlei Heiterkeit gibt. Untreue, emotionaler Missbrauch, Selbstbetrug, Egomanie, Ausnutzung… Dies ist, um mit Shakespeare zu sprechen, für alle Gäste ein summer-of-discontent und man beginnt sich zu fragen, ob das typisch ist für das Land der ‘Saudade’.

Menschen im Hotel, hieß ein in den 1930ern sehr erfolgreiches Melodram. Im Geiste der klassischen Tragödie verlassen uns diese Gestalten irgendwann. Ob es Läuterung, Katharsis gibt, muss jeder für sich entscheiden.

Dass es hinter den Kulissen des Hotels ebenfalls rumort, können wir so gerade erahnen. Und macht gerade neugierig auf jene Geschichte, die im Zwillings-Filmes ‘Mal Viver’ ich morgen früh zu sehen sein würde…. Selten so gespannt nach Hause gefahren.

 

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