Berlinale 2023, Tag 10: Amore, Mann-o-Mann und kühle Rache

L’ultima notte di Amore | Last night of Amore (Italien, Regie: Andrea Di Stefano)

Bis zum letzten Tag des Festivals setzt sich erfahrungsgemäß leichte Erschöpfung ein. Da buche ich für den zweiten Sonntag jeweils zugegeben eher unter “Gönn Dir was”. Das sollte diesmal nur mit dem ersten Film gelingen.

Franco Amore ist stolz, seine Karriere als Kriminaler zu beenden, ohne jemals einen Schuss abgegeben zu haben. Der von seinen Kollegen geschätzte, gewiefte und moralische Beamte hat die Frühpensionierung gewählt, weil er den Job über ist. Er könne nicht mehr.

Doch hier geht es um die fatalen Folgen, die ein Angebot für einen Ruhestands-Job mit sich bringt: Francos windiger Verwandter Cosimo vermittelt ihm die Chance, bei ansässigen chinesischen ‘Geschäftsleuten’ einen Sicherheitsdienst aufzubauen. In Anbetracht seines spärlichen Pensions-Ausblicks wackeln Francos moralischen Prinzipien schon leicht. Nur: es soll unbedingt legal sein, keine Drogen, kein Diebesgut, keine Vorbestraften.

Schon bei seiner Quasi-Bewährungsprobe, just am Abend nach seiner letzten Schicht, fangen die Probleme an. Eine vom Flughafen abzuholende Chinesin hat einen ominösen Koffer dabei – sowie einen finsteren “Boyfriend” und bei auf der Autobahn-Fahrt kommt es zur Katastrophe. In die Franco fatalerweise noch seinen Kollegen und Schwager Dino mit hinein gezogen hat.

Während eigentlich daheim eine Überraschungsparty auf den Ruheständler wartet, kämpft Franco nun um sein Leben. Nicht bloß seine Pension, sondern das Leben seiner Familie ist in Gefahr.

© Loris T. Zambelli

Das moralische Dilemma dieser nachvollziehbaren Hauptfigur ist nur Anlass dieses überaus spannenden Filmes aus, der bis auf eine kurze und geschickt eingewobene Rückblende linear erzählt einen stetig steigenden Drive entwickelt. Regisseur Di Stefano zieht mit der Zeit sämtliche Register der Thrillerkunst.

Die Musik könnte subtiler sein, ist jedoch sachdienlich. Mit der Konzentrierung auf eine einzige Nacht drückt uns das dicht erzählte Geschehen quasi in den Sitz, der Zuschauer wird konstant auf Trab gehalten… bis zum frappierenden, emotionalen Schlusspunkt.

Regisseur Di Stefano verlautete, sie hätten sich mit den Schauspielern entschlossen, keinen amerikanischen Film zu drehen, sondern einen italienischen. Bravo.

 

 

Manodrome (Vereintes Königreich/USA, Regie: John Trengrove)

Wenn ich die bisherigen Berichte über diesen Film querlese, würde ich hier jetzt einen der ärgerlichsten Filme des Festivals zu sehen bekommen. Da war ich gespannt – immerhin lag mit “Music” die Messlatte extrem hoch!

Ralphie (so on-the-nose? Echt jetzt? Wer sich den Namen gibt bzw. akzeptiert ist vielleicht zu Recht ein Loser), verdingt sich als Mietwagen-Fahrer. Der junge, unsichere Mann verlor seinen Job, mit dem Einkommen seiner Freundin als Kassiererin kommt man so gerade über die Runden. Allerdings ist ein Baby auf dem Weg.

Ralphie pumpt seine Muskeln in einem rein männlichen Fitness-Studio, die einzige Zeit in der wir den konstant mürrischen Burschen einigermaßen zufrieden mit sich sehen. Sein Exkollege macht ihn mit einer buddy-haften Männertruppe bekannt, man geht was essen. Ralphie erfährt Verständnis und Zuspruch.

Allerdings mit Verweis auf die Tatsache, dass Frauen “uns” verweichlichen, der Schlüssel darin läge: Der Mann muss seine wahre Kraft für sich allein bewahren. Beim nächsten Mal wir Ralphie eingeladen, ins geräumige Landhaus von “Dad Dan” dem väterlich-predigerhaften Anführer dieses Quasi-Kultes mit Namen Manodrome. Gesprächskreise, in denen man unter wohlwollendem Raunen bekundet, wieviele Monate oder Jahre man sich schon den Frauen enthalten hat. Militantes Chanting von Männlichkeits-Parolen.

Selbst das gleicht den beständig missgestimmten Ralphie nicht auf. Die Story hält noch einige Konfliktsituationen bereit, später (es ist ein US-Film) überraschende und unprovozierte Gewalt.

“MGTOW” (Men Going Their Own Way) und ähnliche Strömungen verwursten in ihrer Verschwörungs-Logik modern-gesellschaftliche Strukturen als sämtlich gegen sie gerichtet, inszenieren sich als Widerstandskämpfer. Eine adäquate Darstellung solcher Strukturen, vielleicht noch filmisch-dramatisch nachvollziehbar, wäre womöglich überfällig. Doch die suchen wir in diesem Film vergeblich.

Besorgend zudem, dass Autor/Regisseur John Trengrove sich den Vorwurf wird gefallen lassen müssen, hier an einem Opfer-Drama entlang zu schrappen.

Denn dass es hier andauernd um Ralphie hier / Ralphie da  und die Story sich allein für seinen (welchen auch immeren!) inneren Konflikt interessiert (wobei Männer seiner Sekte zufolge doch immer zu kurz kommen) – es soll vielleicht die Paradoxie spiegeln. Mit einem Sekunden-Flashback in Ralphies Kindheit soll dies dann wohl gegen Ende noch gekittet werden. Zu spät und zu wenig.

Mit dem Setting fordert die Story den Vergleich zu Scorsese “Taxi-Driver” natürlich geradezu heraus. Doch der ist halt weitaus besser umgesetzt. Ja, dort halt auch mit DeNiros Off-Monologen. Dies hier ist in seiner muffligen Maulfaulheit Uber-Driver”.

Manodrome? Wohl eher Mann-o-mann. Der gerade 95 Minuten lange Film will einfach nicht enden. Die Kirsche auf der Torte: Bis zum Ende erleben wir lapidare und absurde Wendungen, so als wäre Aki Kaurismäkii Skript-Doktor gewesen.

Vielleicht sind solche kultischen, gesellschaftlichen Strömung auch eher zu tolerieren als zu begreifen.

 

Le gang des bois du temple | The temple woods gang  (Frankreich, Regie: Rabah Ameur-Zaïmeche)

Im und mit dem französichen Kino wurden Theorie und Begriff mise-en-scene entwickelt. Eine möglichst realistische, auf Schnitt-Effekte verzichtende Szenengestaltung und -entwicklung.

“Le gang…” beginnt bedächtig ruhig. Eine Verstorbene wird abgeholt, ein in die Jahre gekommener Angehöriger agiert zunächst gefasst. Dann bei der Trauerfeier (der Film gönnt sich minutenlang dem Trauerlied einer hingebungsvollen Sängerin beizuwohnen), ist er in Tränen aufgelöst. Es war seine Mutter.

Szenenwechsel. Sechs, bis auf einen alle nicht mehr ganz junge Männer treffen sich fast täglich im Park ihrer tristen Siedlung am Rand einer französichen Metropole. Man geht was trinken, plaudert über Autos, Pferderennen …oder auch krumme Dinger. Wir erkennen, sie sind eingeschworene Freunde. Seit Jahren über die Nachbarschaft verbunden. Wie auch mit Monsieur Pons, dem Mann aus der Vorgeschichte, den sie seit Kindesbeinen kennen und nun Mitgefühl bekunden. So nähert sich der Film langsam und distanziert diesen Charakteren – die emotionalen Hintergründe verbleiben im Vagen.

Die sechs überfallen eines Nachts auf der Autobahn einen Minivan mit 2 Insassen und erbeuten eine Reihe Koffer. Der Coup wurde gezielt ausbaldowert, wie wir in den Gesprächen entnehmen wohl nicht der erste dieser Art. In der Tat überaus lukrativ, euphorisch wird ein Haufen Geldbündel wird aufgeteilt.

Was sie nicht einkalkuliert haben: Dass der saudische Besitzer, ein Prinz zudem, über einen langen Arm verfügt, seine Handlanger tödlich rücksichtslos sind – zumal unter der Beute brisante Dokumente waren. Was die Saudis wiederum nicht ahnen: Monsieur Pons war vor seiner Pension Armee-Scharfschütze.

© Sarrazink Productions

Damit wir uns nicht missverstehen: Regisseur und Autor Ameur-Zaïmeche erzählt hier (siehe erster Film des Tages) französich, nicht amerikanisch.

Wie gesagt, ahnen wir nur das Nötigste und das oft auch nur aus dem Kontext – müssen zudem über manche Ungereimtheiten und Unwahrscheinlichkeiten hinwegsehen. Im Nachhinein fragt man sich: Wo war dies eine Geschichte?  “Le gang des bois du temple” funktioniert wohl in der Abfolge des Gezeigten, weniger in einer mitnehmenden Narrative. Mittlerer Applaus.

Und somit ging mein Jahrgang etwas antiklimaktisch zu Ende. Dennoch: nur zweimal nicht geklatscht, drei Mal verhalten …der Rest meiner Filmauswahl zugegeben gut bis sehr gut.

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