Berlinale 2024 – Tag 1: Ein dröger Planet und ferne Stimmen

Janet Planet (USA/GB, Regie: Annie Baker)

Ein Verlegenheitsticket? Was lief denn sonst vor meinem Spätfilm? ..frage ich mich während des Films. Ich habe schon deutlich bessere Festivalstarts gehabt. Hinzu kam: Wenn der Einlass bis 15min nach Startzeit dauert – läuft man mit ein paar Dutzend Zuschauern im Dunkeln den Saal hinauf. Zum Glück (Zoo1) einen Randplatz in der letzten Reihe gefunden. Vielleicht nicht die beste Wahl den Film zeitgleich in zwei Sälen zu programmieren – bei nur 3 Ticketscannern am Einlass.

Wir begleiten die etwas verschlossene Lacy einen Sommer lang bei ihrer allein erziehenden Mutter Janet im ländlichen Massachusetts. Die 11jährige, lebt (ja, eine Stanze) in ihrer eigenen Welt.

Die Mutter, welche die beiden als Therapeutin über die Runden bringt, ist zwar nicht überfordert mit der Tochter – hat aber scheinbar schon vor Lacys Pubertät eine Distanz zum eigenen Kind aufgebaut. Mit den wechselnden Verehrern ihrer Mutter wird wiederum auch Lacy selten warm. Janet scheint der Tochter zuweilen distanziert und unachtsam.

Der Film hält sich über lange Strecken an das alte Kartenspieler-Motto “gesagt wird nichts”. Bis zur Hälfte der Laufzeit stoisch und statisch in Bild und Szene gesetzt dominiert Wortkargheit und eher sprödes Storytelling. Das gute alte Prinzip ‘show, don’t tell’ hin oder her. Man wird nicht recht warm mit der Geschichte.

© A24

Später hält das Skript dann doch ein paar feine und spitze Dialoge parat. Insgesamt bleibt ‘Janet Planet’ jedoch tendenziell spröde und wirkt nicht aus einem Guss. Die Abschnitte von Mutters Galanen werden lakonisch durch Beginn und Ende Titelkarten getrennt.

Irgendwann in der ersten Hälfte frage ich mich, ob einem ob des vermeintlich späten Erscheinens wichtige Infos entgangen sind. (Später rechnete ich nach, gerade 4 Minuten lief der Film bei meinem Eintreffen.)

Vielleicht analog zur wachsenden Distanz zwischen Mutter und Tochter verteilten sich heute auf 110 Minuten Laufzeit ungefähr auch 20 walk-outs.

Seine Regie-Debütantin (und immerhin Pulitzer-Preisträgerin) Annie Baker hat durchaus eine interessante Ausgangslage und Story. Die Dramaturgie mäandert zum Teil allerdings ganz schön, häufig denkt man “weiter!”.

Zumindest das Casting Lacy’s ist der Regisseurin gelungen. Im Q&A gab Annie Baker zu, dass bis einen Monat vor Drehbeginn die Rolle von Lacy noch nicht besetzt war! Und das, obwohl sie monatelang z.B. in Supermärkten und Schulplätzen junge Mädchen bzw. deren Mütter ansprach auf die Gefahr hin dubios zu wirken. Zoe Ziegler, so Baker, sei auch in der Realität so zurück haltend und reserviert.

 


Pendant ce temps sur Terre | Meanwhile on Earth
(Frankreich,  Regie: Jérémy Clapin)

Steckt am ersten Tag gleich der Wurm drin ? Eigentlich mit genug Zeit das Haus verlassen – um dann in der S-Bahn festzustellen, dass sie in die Gegenrichtung fährt. Aufgrund eines Polizeieinsatzes (einen Grund findet die S-Bahn immer; vor 3h war es ein Staatsbesuch) ist der S-Bahn unterbrochen. Ob der wartende Film genauso spannend würde wie meine Aufholjagd zum Zoo Palast? Meine Frau, sie ist als The British Berliner akkreditiert, verlautbarte nach ihrem Presse-Preview: “You are going to like it!” Was soll ich sagen, meine Frau kennt mich.

Elsa vermisst ihren Bruder Franck schmerzlich. Die Beiden hatten ein besonderes Band zu einander. Astronaut Franck ist drei Jahre zuvor im Weltraum verschollen. Es vergeht kein Tag, an dem Franck nicht in Elsas Gedanken ist.

© Manuel Moutier

Die untröstliche, nur oberflächlich lebensfrohe junge Frau arbeitet seitdem als Alten-Krankenpflegerin – vielleicht auch, um ihre Trauer zu kanalisieren. Die Pflegeheim, die sie ihren Patienten zuteil werden lässt ist liebevoll, doch manchmal abwesend. Elsa hat es dort tagtäglich mit geistigem Verfall zu tun, mit Menschen die sich nicht mehr an ihre Angehörigen erinnern.

Weiter gehende Lebenspläne scheint sie aufgegeben zu haben. Nächtens sitzt Elsa immer wieder auf einem Hügel am Rand der Kleinstadt, um in die Sterne zu schauen – als sie eines Abends eine geheimnisvolle Stimme vernimmt. Spricht da tatsächlich ihr Bruder zu ihr – und ist er wirklich von außerirdischen Kräften vereinnahmt?

Elsa wird ein Deal angeboten: Die Stimme offenbart ihr: Fünf außerirdische Wesen benötigen menschliche Körper, um ihre Existenz zu transferieren. Besorge Elsa die, käme Franck zu ihr zurück – und die Zeit eile. Ein Angebot, das gelinde gesagt moralisch fragwürdig ist – doch die Aussicht den geliebten Bruder zurück auf die Erde zu holen?

Der Film hat uns schon bald am Haken. Eine nervös-intensive Energie verbunden mit einem unnachlässigem Pacing machen ‘Pendant ce temps sur terre’ zu einem fesselnden Erlebnis. Und das, obwohl der Film nur ein einziges Mal (und notwendigerweise) in Drastik verfällt. Hauptdarstellerin Megan Northam beeindruckt mit einer Darstellung, die Facetten von Verzweiflung, Trauer, Angst zu vergessen mit rücksichtsloser Entschlossenheit balanciert.

Ultimative Fragen verwebt der Plot in verschiedenen Handlungsebenen. Was Regisseur und Autor Jeremy Clapin in so kurzer Zeit (keine 90Minuten!) in den Plot presst ohne aus der Kurve zu fliegen… das ist schon phänomenal. Um so mehr wenn man bedenkt, dass Clapin bisher ausnahmslos mit Animationsfilmen reüssiert hat – dies ist sein erster Realfilm! Chapeau, vraiment.

Die Story die Clapin hier entfaltet, hätte mit den besten des  US-Serien-Klassikers “Twilight Zone” mitgehalten. Der hatte freilich nur 25 Minuten um seine immer wieder aberwitzigen Erzählungen zur Pointe zu führen. Auch dort ging es immer wieder um Dilemmata.

Und ohne zu spoilern: Das wunderbare Ende, das Clapins Skript bereit hält, liegt dann allerdings eher in der europäischen Tradition als in der amerikanischen. Gut so.

Ein Film, an den man sich auch nach Jahren noch erinnert, so meine Erfahrung. Die Messlatte liegt denn schon jetzt hoch für mein Berlinale-Jahr.

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