Bundestagswahl am Abschlusstag – das hatte ich auch noch nicht. Also schon ganz in der Frühe ins Wahlbüro. Gleich mein erster Film bewies sich als genau die Kost, die ich mir am Ende des Marathons gerne gönne. Nicht zu-unkonventionell, gerne mit Pfiff.
Lurker | USA/Italien, Regie: Alex Russell
“Ich will das Gleiche wie alle. Nur will ich es mehr.”, heißt es hier im dritten Akt. Heutzutage ist es für junge Menschen gar nicht mal der Herzenswunsch, als Künstler ein Star zu werden. Bekannt sein, Influencer werden oder in Entourage Einfluss zu gewinnen – das ist der Gral.
Matthew arbeitet in einer Szene Boutique. Dort begegnet er dem angesagten Musiker Oliver. Mit einem Trick erheischt er dessen Aufmerksamkeit und Respekt. (Bezeichnenderweise lässt der Film offen, ob Matthew Olivers Musik überhaupt mag).
Er wird zu einem Konzert ins Backstage eingeladen, ist dann doch verwirrt aufgrund Olivers wankelmütigem Verhalten: mal leutselig jovial, mal abweisend distanziert. Matthew schafft es dennoch, dass er es später im Schlepptau der Clique sogar Zutritt in Olivers “Crib” bekommt – wo es einen kleinen Hofstaat von Crew, Assistenten und Musikern gibt.
Der umtriebige Matthew legt dabei und auch in weiter Folge eine Verschlagenheit an den Tag, die einen beim Zusehen fast angenehm unwohl macht. Auch Olivers Managerin Shai beäugt den Durchtriebenen misstrauisch. Für Oliver (der vielleicht genauso viel Bestätigung wie unser Protagonist sucht) und seine Mitmusiker ist Matthew aber irgendwann nicht mehr wegzudenken, der Einflüsterer wird ein vermeintlicher Talisman.
Doch so wie Matthew anderen im Hofstaat den Rang ablief, so drängt sich später sein Ex-Boutiquen-Kollege ins Bild. Als dessen Talente im Kurs steigen und er der nächste Goldjunge zu werden droht, kommt das Karussell aus Ehrgeiz, Neid und Missgunst vollends in Fahrt.
Vielleicht ist es Vorbedingung, dass Künstler den eigenen Hype glauben. Wenn Schmeichler und Hofschranzen dies tun, wird es tragisch. Oder bizarr, wie hier gegen Ende dieses clever inszenierten Drama.
Wieder ein Regie-Debüt, überdies!
Zu loben ist unbedingt die nervöse und unter der Oberfläche brodelnde Energie, welche Hauptdarsteller Théodore Pellerin auf die Leinwand bringt. Sowie die geschickt konstruierte Story von Autor und Regisseur Alex Russell.
Shot on Kodak 16mm heißt es übrigens im Abspann. Einen Film hatte ich aufgrund dieser Info im Vorfeld abgewählt – und stelle jetzt meinen Snobismus in Frage.
The Trio Hall | Taiwan, Regie: Su Hui-yu
Ich bin ja selten kurz davor, das Kino zu verlassen. In den ersten zehn Minuten denkt man noch: die werden auch noch ruhiger. Diese Hoffnung wird nicht erfüllt. Die Pflicht des Chronisten und die Frage, ob mein Sohn es vielleicht anders sieht, ließen mich verweilen. Auch er war hinterher ratlos.

Wie aus der Kanone geschossen stellt “Trio Hall” eine fiktive Sketch- und Musikshow dar. TV laut: plakativ, affektiert und frei von Nuancen. Überkandidelter Moderator, kasperlartig breit agierende Darsteller in einer Nummern-Revue?
Die klamottigen Possen sind weit überzogen, bis an die Grenzen des guten Geschmacks, die Lautstärke ist fast immer kurz vor Anschlag,
Die verhandelten Themen sozio-kultureller, philosophischer und historischer Natur. Die satirische Reibung erschließt sich hier nicht wirklich. Denn -wenig hilfreich: bei den Wortschwall-Dialogen war für die gefühlt spärlichen deutschen Untertitel war gerade mal eine Zeile freigehalten, denn darüber liefen auch noch welche in Mandarin mit!
Ich gestehe, dass ich es irgendwann nur noch über mich hinweg rauschen lies. Unsere konsternierte Annahme: Dass es hier vielleicht einen Subtext gibt, der nur im ursprünglichen Kulturraum gelesen werden kann?
Reflet dans un diamante mort [Reflection in a dead diamond] | Belgien, Luxemburg, Italien, Frankreich, Regie: Hélène Cattet & Bruno Forzani
Randbemerkung: Vor 3 Tagen wurde verkündet, dass Barbara Broccoli und Michael G. Wilson sich als langjährige Produzenten und Gralshüter des James Bond Franchise zurückziehen – die auch künstlerische Gesamtverantwortung jetzt einem Großkonzern mit smile im Logo liegen wird.
Ein alternder Lebemann genießt einen Drink an der Cote d’Azur. Er blickt vor seinem Hotel auf eine sich sonnende Schöne und denkt scheinbar zurück. Das ist die letzte ruhige Szene für einige Zeit.
Denn nun geht die Post ab. Atemlos aneinander gereiht und zunächst ganz unterhaltsam, später bei allem Wohlwollen in reißerischem Überfluss reißerisch. Fast schon trashig persiflierte Agentenfilm-Musik, brüske Szenenwechsel, formelhafte , abrupt klischee-hafte Dialoge, absurd stilisierte Kampfszenen, bizarre Todesarten, fantastische Gadgets. Fronten wechseln, Masqueraden fallen, Verrat, Bedrohung, Faust-, Messer- und andere Kämpfe mit bis ins Bizarre gehender Gewalt.

Buchstäblich vor ein paar Stunden “Trio Hall” (siehe oben) durchlitten, denke ich “Geht das schon wieder los?” Das können die doch nicht im Ernst meinen? Es präsentiert sich eher als atemlose Aneinandereihung – aber wo ist die Story? Wer gegen wen? Wer ist wer ? “The old woman with the knife” hatte das zumindest vor ein paar Tagen voraus – nahm sich dafür aber bierernst.
Als der Film dann sich doch nochmal zu drehen scheint und die eigentliche Natur des Plots offenbart wird, ist es für manchen leider zu spät: Es gab ob der Drastik und der scheinbar unverfolgbaren Handlung so manchen Walk-out.
Dabei wird nun doch endlich klar, was sich nur nebulös andeutete. Hier verbirgt sich, tief versteckt, eine Reflexion über die Faszination des Agentenfilm-Genres. Und wie sich die Melancholie manch dritter Akte -im Leben wie im Kintopp- ähneln.
Lemmy Caution und Fantomas waren nur die Speerspitze europäischer James-Bond-Epigonen. Und wie die verschiedenen Bond-Darsteller, dürften auch Jean Marais und Eddie Constantine irgendwann nicht nur versonnen auf ihre Blütezeit zurück geblickt haben. Bis eine neue Welle sie ablöste.
Und so geht für mich ein Jahrgang zu Ende, der sich seltsamerweise wie einer der schwächeren meiner persönlichen Historie anfühlt. Doch mein Durchzählen ergab dann gerade doch: 12 Volltreffer, 4 Nieten, 10 mal Solide…