Berlinale 2025, Tag 9: Fragwürdiges, Kaltes und Denkwürdiges

Meine intensivste Berlinale brachte mich vor ein paar Jahren auf 32 Filme. Diesmal wird es bei 26 bleiben. Im Lauf der Jahre erkennt man: Es ist eine Kunst, die “Gurken” zu vermeiden. Fragt sich, ob die Auswahl jemals perfekt sein kann – oder der Preis für neue Juwelen ein paar Enttäuschungen ist.

Honey Bunch | Kanada, Regie: Madeleine Sims-Fewer & Dusty Mancinelli

Wie weit würde man für einen geliebten Menschen gehen? Diana sucht begleitet von ihrem Mann Homer ein Sanatorium auf. Sie ist nach einem Unfall immer noch starke körperliche eingeschränkt, außerdem plagen sie psychische Episoden. Es sind die 70er und die Klinik rühmt sich die neuesten Methoden anzuwenden – wenn auch medizinisch ungewöhnlich. Diana befremden das Haus, der umgebende Park und die Landschaft – ihre Visionen werden mehr statt weniger – während ihr Mann und die medizinische Leiterin versichern, es gehe großartig voran.

Wie schon in in Mothers Baby oder Welcome Home Baby Tage zuvor, werden auch hier Zweifel an der Realität gesät. Jedoch weniger subtil und von Filmbeginn an durchaus mit einiger Prätention. Allein das die Regissure nicht ohne immer wieder überstrapazierten needle drops von torch songs bis zu DooWop auszukommen meinen. (Vielleicht wäre ich gnädiger, wenn es das erste und nicht mein drittes Mal dieses Topos in diesem Jahrgang gewesen wäre.)

Der dennoch mysteriös unterhaltsame Film kommt später jedoch an die Grenzen der medizinischen Wahrscheinlichkeit. Soweit waren wir in den 70ern noch nicht – oder nur in Kanada? Eine Resynthese aus Wissenschafts-Motiven, die wir in The Prestige, Westworld bereits schlüssiger behandelt sahen.

© Cat People

Fragwürdige Moral, fragwürdige Entscheidungen treten dann vollends im drastischen Klimax zutage. Wenn der Body Horror noch storymäßig vertretbar ist, ist es die später drastische Gewalt, die selbst beim geneigten Publikum zu nervösen Übersprungs-Lachern führt.

Fans von David Cronenberg (der war ja bekanntlich auch Kanadier) kommen streckenweise durchaus auf ihre Kosten. Doch im Vergleich dazu ist diese Doppel-Regie etwas für zu leicht befunden. Einzig die inkludierte  Eingangsfrage ist es, die in ihrer Beantwortung hier frappiert und doch befremdet.

 

La tour de glace [The ice tower] | Frankreich/Deutschland, Regie: Lucile Hadžihalilović

Heimkind Jeanne flüchtet. Din in sich gekehrte junge Frau steigt aus ihrem Bergdorf herab. Nach der Wanderung durch den Schnee in der Statt angekommen muss sie nachts irgendwo unterkommen.

Morgens darauf erkennt sie, dass die Schlafstatt in die sie im Dunklen eindrang, ein Filmstudio ist. Sie findet sich in der Kulisse eines Märchenfilms, der mit dem Filmstar Christina dort gedreht wird.

Der Versuch, nicht aufzufallen gelingt – Jeanne gelingt es sogar, als Komparsin, später Nebendarstellerin ausgewählt zu werden. Die sehnsüchtige, verschlossene Jeanne verfällt der Faszination Christinas – der Star wiederum sieht in ihr nach und nach eine Seelenverwandte.

© 3B-Davis-Sutor Kolonko-Arte-BR

In verschlüsselten Szenen kriecht hier eine verschachtelte, doch märchenhaft simple Story nur allmählich voran. Scheinbare Traumvisionen offenbaren sich als Märchenfilm-Szenen. Oder umgekehrt?

Das Spiel mit den Ebenen fasziniert nur eine zeitlang. Denn bei einem Mangel an Handlung scheint dennoch alles potenziell verklausuliert, trügt wieder und wieder der Eindruck – man wird quasi genötigt, den kunstvollen Bildern und Szenen zu misstrauen. Was das Ganze latent entwertet.

Und irgendwann geschieht, was nicht passieren sollte: Man schaut auf die Uhr bei dem Tempo, dass dieser kühle und stille Film bis zuletzt beibehält.

 

Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes | Deutschland, Regie: Edgar Reitz

Als ich gestern auf Film 3 meines Tages wartete, hörte ich hinter mir ein paar Kommentare über diesen Film, die mich an der Wahl dieses Films zweifeln ließen: Wie ein Philosophie Seminar, im Duktus von Olaf Scholz. (Edgar Selges Stimme klingt tatsächlich ein wenig wie der Noch-Kanzler. Was er aber in der Rolle zu sagen bekommt – das hat eine Klarheit und Schlagkraft, die man bei ersteren vergeblich suchte. Sei’s drum.

Ein Herzensprojekt des famosen Edgar Reitz? Eine Überzeugungstat. Wie sich später finden lässt, auch seinerseits.

In einem Film über die Liebe zur Philosphie und dem Kern der Dinge …zu den Tatsachen: Die preußische Königin Sophie Charlotte wünscht sich von Herzen ein Bildnis ihres ehemaligen Lehrers, dem von ihr zutiefst verehrten Gottfried Wilhelm Leibniz. Der weilt am Hofe ihrer Mutter in Hannover.

Mit dem ersten Maler (Lars Eidinger wunderbar als snobistisch aufgeblasener Delalandre – wir denken uns unseren Teil) ergibt sich keine Wellenlänger, man trennt sich im Streit. Mit dem zweiten Probanden, dem/der (fiktiven?) Aaltje van de Meer entspinnen sich beim Modell-Stehen angeregte bis aufgeregte Gespräche mit dem alternden Universalgelehrten. Nichts, so scheint es, zu dem Leibniz nicht etwas zu sagen hat, dass den Blickwinkel zum Thema vertieft oder aber in eine unerwartete Richtung lenkt.

Gert Heidenreich und Edgar Reitz dichtes Skript lässt Leibniz Einsichten und Überzeugungen geradzu wie Manna regnen.

Das ist vielleicht genauso artifiziell wie es hier jetzt klingt. Man könnte es sogar Luxus-Schulfernsehen und einen bildungsbürgerlichen Erbauungsfilm nennen. Das Kunststück ist, dass uns das ganze hier so nachvollziehbar und fesselnd vermittelt wird, dass man gar nicht dazu kommt.

© Ella Knorz

Ich gestehe, würde man es mir beschreiben, ich würde es selbst nicht glauben. Vielleicht funktioniert so etwas dann auch nur im Kino. Ein ganzer Saal war am Ende eines langen Kino-Tages immer noch gebannt und blieb bis zum Ende des Abspanns -wie in Andacht- sitzen.

Die Briten feiern ihren Newton, hierzulande ist vergleichsweise wenig im Gedächtnis, in wievielen Felder Leibniz Essenzielles beigetragen hat – seiner Zeit weit, weit voraus. Wir dürfen erahnen, welche Euphorie im Zeitalter der Aufklärung aufkam angesichts der Erklärbarkeit der Welt. Was man zu unseren heutigen Auswüchsen wohl sagen würde ?

 

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