Vorspann: Mein online Vorverkauf verlief hakelig – und unergiebig, ein Deja vu der letzten Jahre. Es versöhnt mich etwas, als ich mich erinnere wie es auch nicht besser war, spätestens 10Uhr zu den Potsdamer Platz Arcaden fahren zu müssen. Um über eine Stunde in der Schlange zu stehen, mit komplexen Notizen in der Hand. Um dann oft am Schalter Kopfschütteln für die Auswahl zu ernten – und sich nach dann nach Neuauswahl wieder hinten anzustellen.
Ich ergatterte also nicht meine gewünschtes Ticket für die Panorama Eröffnung am Donnerstag. Das Erste, was sich als interessant und buchbar am späten Freitagabend erwies:
Minden Rendben [Growing Down] – Ungarn, Regie: Bálint Dániel Sós
Eine Patchwork Familie im Werden. Sándor (verwitwet) und Klára (in Scheidung) sind sich schon recht nah gekommen. Nun gilt es, vorsichtig den Familienanhang zu verschmelzen. Sandórs Söhne und Kláras Tochter Sári können dann sogar einigermaßen gut miteinander. So gut, wie das bei 12- bzw. 16jährigen in solcher Situation so geht.
Sándórs jüngerer Sohn Dénes hat allerdings Probleme, im Alltag Aggressionen im Zaum zu halten. Nicht nur bei Zwist mit seinem älteren Bruder, auch bei streitlustigen Mitschülern oder beim Boxsport – der doch eigentlich helfen soll, Dénes’ Energie abzubauen. Vater Sándor jedoch ist liebevoll, unermüdlich und sorgenvoll auf Dénes’ Seite.
Doch Sándor schießt über das Ziel hinaus. Als es in der Neu-Familie bei einer Party zu einem tragischen Unfall kommt, verleitet Sándor den Jungen, seine Beteiligung komplett zu leugnen – der Vater biegt die Ereignisse zurecht und konstruiert ein Lügengebäude. Die Spannungen zwischen Vater und Sohn steigern sich in der Folge damit noch. Ohne es zu wissen hat Sándor aber seinen Sohn genau genommen vorverurteilt.
Ganz zu schweigen, dass Sándor damit auch Klára nach Strich und Faden belügt. Wird sich darauf eine neue Familie gründen lassen?
In nüchternem schwarz-weiß entspinnt Regisseur und Co-Autor Bálint Dániel Sós eine verblüffend fesselnde Story. Die unbewusst selbst verschuldeten Verwicklungen nehmen mithin Ausmaße der klassischen Tragödie an. Lektionen, die mancher früh, mancher spät – und mancher zu spät lernt.
Vor Kurzem war zeigte schon die Miniserie “Disclaimer”, wie wenig wir bereit sind erste Eindrücke zu hinterfragen. Und uns dabei in Beziehungen unser eigenes Grab schaufeln.
Die Passage, als die Wahrheit endlich ans Licht kommt, ist in einer Weise konstruiert, die dem Langfilm-Erstling zur Ehre gereicht. Minimale Mittel, maximale Anspannung. Dass “Minden Rendben” auch noch mit wohldosierter Laufzeit auskommt und ein kluges Ende parat hält, setzt dem bewegenden Drama das Krönchen auf.
Ein Debütfilm, der sich mehr als sehen lassen kann!
ps. Die Schriftstellerin Fran Liebowitz sagte mal: Gebt dem Fragesteller kein Mikrofon. Denn dann geht es nicht mehr um die Sache – sondern um die Klugheit des Fragestellers. Als im anschließenden Q&A ein Zuschauer in einer Szene eine Ähnlichkeit zu Vittorio De Sicas “Fahrradieben” gefunden haben will, rollt mancher mit den Augen. Zeit zu gehen? Regisseur Sós antwortet nonchalant und knapp: Nein, er habe “Fahrraddiebe” nie gesehen. Gelächter.