Deutlich besser gesessen als gestern in der steilen Tribüne des Blumax Theater. Man kann allerdings auch zu früh ankommen. Als ich am Zoo Palast eintreffe, ist 25min vor Beginn noch kein Einlass. Vorbemerkung zum Film: Die gebuchte Zeit erwischte mich dann in einem Nachmittags-Low… Zwinker. Wie soll das dann in der noch kommenden Hochphase erste werden?
Christy | Irland/Vereinigtes Königreich, Regie: Brendan Canty
Dem 17jährigen Christy fällt es schwer Fuß zu fassen. Wieder einmal fliegt er, seit seiner Kindheit Waise, bei einer Pflegefamilie raus. Sein Halb-Bruder, der reifere Shane, ist seine vorläufige Rettung. Der ist jedoch gerade Vater geworden, und Christys Aufenthalt im Haus von Shane und Ehefrau Stacey wird zeitlich eine Grenze gesetzt.
Ein Teil von Christys und Shanes Community im weniger gut situierten Teil der Stadt freut sich über seine Rückkehr – der andere Teil sind Gleichaltrige und Familienmitglieder, die ihn mehr oder weniger auf ihre schiefe Bahn ziehen wollen. Wortkarg aber gleichmütig mäandert der Junge durch seine Hood. Shane sorgt sich, dass Christy ein ähnlich unrühmliches Ende wie beider Mutter finden wird.
In der Sektion Generation 14plus finden sich naturgemäß immer wieder Coming-of-age Filme. Und es ist nicht so, dass in der Ähnlichkeit über die Jahre hier viel Neues zu Tage kam. Somit seufzt der Viel-Seher natürlich über einige Zeit des Films; doch “Christy” eine Chance zu geben lohnt sich. Wiederum belohnt wird man am Ende mit einem bewegender Schluss-Twist.
Ungekünstelt und mit einem eigenwilligen Charme erzählt Regisseur und Co-Autor Brendan Canty eine Geschichte, die erst Darstellerin Emma Willis (Stacey) im Q&A nochmal einordnete: “Irish man are bottling up their feelings and emotions. It’s the woman’s, the wife’s task to say ‘I’m here for you, what’s on your mind’ ” Während sie sich und das Publikum fragte, ob das nur in Irland so sei…

Emma Willis (Stacey) wähnte sich übrigens bei der Produktion im Himmel: So viel Zeit und Geduld gäbe es bei kommerziellen Produktionen sonst nicht. Ein Jahr vor Drehbeginn traf man sich, um in Improvisationen die Charaktere zu workshoppen. Sogar einige vorher nicht geplante Szenen wurden dabei erfunden.
Regisseur Canty war seinerseits voll des Lobes für seinen Cast. Als er irgendwann rausfand, dass die Mehrzahl seiner Haupt-und Nebendarsteller als Rapper tätig war, dachte er “did I find a hack? Are all rappers good actors?”
Darsteller Danny Power verkörperte Christy bereits in Brendan Cantys Kurzfilm, welcher der Ursprung dieses Films war. Power sprang tatsächlich nur zwei Tage vor Drehbeginn für den ausgefallenen Hauptdarsteller ein, um bald beseelt festzustellen “I love acting”.
Welcome Home Baby | Österreich/Deutschland, Regie: Andreas Prochaska
Die resolute Notärztin Judith reist mit ihrem Mann Ryan von Berlin ins ländliche Österreich. Judith hat dort ein Haus geerbt. Dass es das Heim ihrer Eltern ist, lässt sie genau genommen kalt -denn sie hadert sei je damit, dass ihre Eltern sie als Kleinkind zur Adoption gegeben hatten.
Ihre Mutter, so wird Judith später erfahren, soll psychische Probleme gehabt haben. Doch heimisch will sie in dem für sie drögen Dorf sowieso nicht werden. Muss aber mit Ryan aufgrund Absage des Hotels notgedrungen sogleich im ehemaligen Elternhaus übernachten.
Eigentlich soll der Bau baldmöglichst vermakelt werden. Doch kaum angekommen, wird Judith zusehend von den Dörflern vereinnahmt: Erst zu einem angeblichen ärztlichen Notfall gerufen, pochen Tags darauf die Patienten ihres Vaters im heimischen Wartezimmer, dass Judith doch bitte die Sprechstunde durchführe.
Als es in dem Haus, an das sich Judith kaum erinnern kann, alsbald zu höchst seltsamen Phänomenen kommt, wähnen wir uns zunächst in einem typischen Genrefilm. Zusehend entgleitet unser Protagonistin die Kontrolle: Sie wacht fernab vom Dorf auf, hat grauenvolle Visionen – und erlebt Zeitsprünge, die sie von ihrem Mann entfremden. Es sind immer wieder die Dorffrauen, die sie in Sicherheit wiegen. Steuert Judith auf das Schicksal ihrer Mutter zu – oder schlummern in ihr ungeahnte Kräfte?

Klassische Horrorfilme machen es sich leichter, wenn wir den Figuren wenigstens etwas voraus ist. Doch “Welcome Home Baby” baut weniger auf Suspense denn darauf, uns und seine Hauptfigur zweifeln, ja ver-zweifeln zu lassen. Auch der geneigte Zuschauer wird verunsichert bei einem Zickzack-Kurs zwischen Gothic und Horror. Bis hin zur Frage ob überhaupt klar werden wird: Wohnen wir einem psychischem Verfall bei – oder einer religiösen Verschwörung.
Es ist sicherlich eine der besten Potenzialevon Kunst, dass sie ambivalent und interpretierbar sein kann.
Allerdings dünkt irgendwann, ob man es mit dem Stilmittel des Unzuverlässigen Erzählens zu tun hat – oder nur die Montage überfrachtet, die Laufzeit zu lang ist. Eventuell hätte Straffung, vielleicht bereits im Script gut getan.
Will sagen: Welcome Home Baby scheint bei aller Faszination tendenziell länger als er ist. Ich wollte just schreiben: “wirkt länger” – und stelle fest: Auch diese Wortwahl wäre stimmig.
Es gab sehr späten, eher freundlichen statt überzeugten Applaus im fast ausverkauften Cubix 9.
Spoiler:
Im Anschluss fragte ich meinen diesmal mitgekommenen Sohn, ob er eigentlich Polanskis “Rosemary’s Baby” kenne.