Zweimal heute zweifelte ich im Vorfeld an meiner Ticket-Wahl. Wie sich heraus stellen sollte, allerdings zu unrecht. Denn es war erst Film 3 des Tages, der wohl nicht hätte sein müssen. Wenigstens nicht hier und heute. Zumal sich der gewohnte Halbzeit Blues einstellte: Der selbst gewählte Stress lässt zweifeln, ob man noch ein paar Volltreffer landen wird. Im Angesicht des langsam nahendem Festspiel-Endes.
Sunshine | Philippinen, Regie: Antoinette Jadaone
Die bewunderte und hochtalentierte Gymnastin Sunshine erreicht bald das Alter in dem Rhythmische Sportgymnastik nicht mehr Wettkampf Niveau performt werden kann. Ihre Trainerin gemahnt sie: Diese nächsten Vorentscheidungen für das Olympia-Team könnten ihre letzten Sein.
Nach einem Schwächeanfall im Training stellt Sunshine dann fest: Sie ist ungewollt schwanger. Die Jugendliche ist am Boden zerstört, sieht ihren Traum schwinden. Sunshine behält ihr Geheimnis für sich, weiht nur die beste Schulfreundin ein – der sofort der Kontakt mit ihr verboten wird. Der boyfriend und Kinds-Vater lässt Sunshine sowieso kalt abweisend im Stich.
Da in den Philippinen Abtreibung komplett illegalisiert und tabuisiert ist, sucht die Verzweifelte eine Medizinfrau auf einem Straßenmarkt. Wo ihr dann unvermittelt ein nerviges, verblüffend altkluges Kind nicht mehr von der Seite weicht und sie ihrer Absicht zichtigt. Dass dies Sunshine’s Schutzengel oder aber ihr Gewissen sein könnte, schwant uns bald.
Einen Film wie diesen sich für das Programm auswählen, das lässt einen sich schon vorab fragen, welchen der vermeintlich zwei Wege die Erzählung einschlagen wird. Erfreulicherweise trivialisiert “Sunshine” das Anliegen nicht – das Dilemma wird verständnisreich und durchaus sensibel in Szenen gesetzt.
Regisseurin und Autorin Antoinette Jadaone, in ihrer Heimat ansonsten mit eher kommerziellen Werken erfolgreich, hat für ihr Anliegen einigen Aufwand betrieben. Über 100 junge Frauen und Mädchen interviewt, so bekundet der Produzent. Sowohl welche, die noch vor ihrer Entscheidung stehen, als auch solche die sich bereits in beider Weise entschieden hatten.
Jadaones Story hält durchaus genügend Hinweise und Wendungen, um sowohl die innere Zerrissenheit Sunshines als auch die Dringlichkeit des Themas zu würdigen. Das dosierte Spiel von Maris Racal (Sunshine), in den Philippinen ein veritabler Star, ist ein weiterer Glücksfall.
Übrig geblieben, so gaben beide im anschließenden Q&A verlegen zu, seien vom ansonsten fast ausschließlich weiblichen Cast&Crew nur sie, ein Nebendarsteller und ein Produzent. Sie ordneten als “Überzeugungstäter” dann noch so manches beredt ein.
Die Aussichten für einen Verleih im eigenen Land seien angesichts des Themas in der Tat fraglich: Die Zensurbehörde hätte in den streng katholischen Philippinen das letzte Wort – und ist von der dortigen Filmförderung unabhängig. Die Philipinnen, so erinnert uns ein Darsteller im Q&A, sind das einzige Land außer dem Vatikanstaat, das keine Ehescheidung vorsieht.
Es sei für uns Zuschauer wichtig, zu erkennen was die Errungenschaften säkularen und liberaler Gesellschaften sind.
Mikusu modan [The longing] | Japan, Regie: Toshizo Fujiwara
Hiroyuki hat eine Engelsgeduld, verständnisvoll bis hin zur Konfliktscheue. Der Mitt-Fünfziger und seine Frau Sonoko betreiben ein leidlich erfolgreiches Restaurant. Hiros offenbar eigentlicher Lebenszweck jedoch ist es, Straffälligen durch Jobs im eigenen Restaurant einen Neustart zu ermöglichen. Er selbst kam in seiner Jugend mit seinem Bruder auf die schiefe Bahn – und der bezahlte es leider mit seinem Leben.
Im Privaten bleibt den Eheleuten der besonders von Sonoko erhoffte Kindersegen versagt, trotz zahlreicher in-vitro Versuche. Parallel sehen wir, wie der jugendliche Yuto sich zunächst im Restaurant bewährt – aufgrund persönlicher Enttäuschungen dann sich bei einem Club-Besuch in die (ebenfalls gerade aus der Haft entlassene) gleichaltrige Yukiha verliebt. Bald werden Bewährungsauflagen nicht mehr eingehalten…
“Mikusu Modan” legt ein äußerst zügiges Erzähltempo vor: Kaum eine der Einstellungen, geschweige denn Szenen geht über die 30 Sekunden Marke. Erfreulicherweise wirkt es trotz dessen nicht atemlos. Regisseur Toshizo Fujiwara wies seine Darsteller an, die geskripteten Dialoge nicht wörtlich zu nehmen (“be yourself”) – und den und so entwickelt der etwas nüchterne Film eine quasi-dokumentarische Qualität. Eine erstrebenswerte Menschlichkeit strahlt er dennoch aus.

Ohne Sentimentalität, doch mit viel Einfühlungsvermögen wird ein Reigen von zweiten Chancen erzählt. Und es ist immer wieder bemerkenswert zu sehen, welchen Stellenwert Respekt in der japanischen Gesellschaft hat.
Das Restaurant, das gibt es mit genau diesem Projekt wirklich – und man hätte auch dort gedreht, erzählt der Regisseur Fujiwara anschließend auf Nachfrage. Fujiwara, der in seiner Kindheit gegenüber einem ähnlichen Restaurant aufwuchs, aß dort und wusste bald, dass er diese Geschichte erzählen wollte. Auch wenn die Realisierung nun viele Jahre dauerte.
After this death | USA, Regie:
Die schwangere Isabel hat, während ihr Mann Ted auf Dienstreise ist, erst einen Flirt und dann eine Affäre mit dem mysteriösen Indie-Musiker Elliott. Irgendwann distanziert er sich unerwartet, verschwindet vom Erdboden – auch für seine Band. Die Schwangerschaft hat eine Komplikation, die Ehe mit Ted scheint zu stagnieren. Elliotts Fans nehmen irgendwann aufgebracht Isabel ins Visier.
Der Film macht neben seiner lückenhaften Plotstruktur immer wieder Angebote, erzählerische Versprechen – die er dann letztlich nicht einlöst. Die Leerstellen seien durchaus gewollt, so Regisseur und Autor Lucio Castro später. Die Charaktere sind allerdings nicht genug ausgestattet, auch wenn Publikum und Darsteller später darüber das Gegenteil beschwärmen.
Ins Bild und Licht gesetzt ist es durchaus sehenswert. Doch: (Erotik-)Drama, Verlust-Melodram, im Interview will Lucio Castro sogar Thriller, Musical oder Rom-Com andichten…dass der Film aber keinen der Wege einschlägt – it’s not a feature, it’s a bug. Das treffliche englische Sprichwort ist: jack of all trades – master of none.

Das ist jetzt das Ende?, denke ich im als die Schlusstitel laufen. Beim Publikum kam es dennoch vorgeblich bestens an – Weltpremieren-Bonus?
Hauptdarsteller und Regisseur lobten sich anschließend gegenseitig auf der Bühne und ergingen sich, wie aufregend diese Story durch ihre konstruierten Lücken sei. Er hätte das ganze absichtslos mal hingeschrieben, so Lucio Castro, um zu sehen was passiert. Das lasse ich mal so stehen.
Dass der Film mit-thematisiert, wie Fans (hier: eines Musikers) den Gehalt und die Bedeutung eines Werkes komplett überhöhen, scheint da irgendwie folgerichtig.
Vielleicht hat “After this death” eine weitere, nochmalige Chance verdient, vielleicht hat es auch nur mit meiner Platzierung am Ende eines langen Berlinale-Tages zu tun.