Wintereinbruch während der Berlinale – das hatte ich in all den Jahren selten. Einen gleichzeitigen BVG Streik noch gar nicht. Somit ging es besonders zeitig quer durch den Tiergarten zum HKW. Zu einem Film, den ich lange zögerte zu buchen: Thematisch sehr nah dran war an “Les Paradis de Diane” aus dem Vorjahr. Es sollte sich lohnen:
Mother’s baby | Österreich/Schweiz, Regie: Johanna Moder
“Du hast jetzt ein Kind”, sagt die Hebamme zu ihr. Hat Julia das ? Denn just nach der Geburt wurde es ihr weggenommen, es gab Komplikationen bei der Entbindung. Später, vielleicht zu spät wird sie es endlich in den Armen halten können.
Die arrivierte Dirigentin und ihr nicht minder erfolgreicher Ehemann haben sich in die Hände einer Privatklinik für Reproduktions-Medizin begeben. Genau genommen natürlich Julia, denn Georg betreffen die Prozeduren weniger. Er wird später dennoch gefordert werden.
Ihr Gynäkologe zeigte sich vorab überaus selbstbewusst und fachmännisch-zuversichtlich. Das schützt Julia im Kreißsaal wie auch später bei aller professionellen Effektivität nicht vor einigen menschlichen Kälten und Platitüden, mit denen sie das Personal in Ruhe wiegen will.
Doch aufgrund der langen postnatalen Trennung ist der Riss wohl schon da. Dies Kind will einfach nicht “ihres” werden. Auch wenn Julias Umfeld ihr wieder und wieder versichert, das Alles seine Ordnung hätte, dies und jenes völlig normal sei. Sie steigert sich unmerklich in einen Wahn, es könnte nicht ihr Baby sein. Überdies beunruhigt es Julia, dass der Säugling ungewohnt wenig schreit und -so meint sie- kaum auf Reize reagiert.

Bemerkenswerter Weise folgen wir Julias Sichtweise in diesem psychologischen Drama ein ganzes Stück. Marie Leuenberger Darstellung in der Hauptrolle stellt diese Entfremdung Besorgnis erregend dar. Zumal die Thriller Fährte die Regisseurin und Co-Autorin Johanna Moder hier allmählich auslegt, bei aller lobenswerten Subtilität durchaus nicht zu leugnen ist. Sehen wir einer Verzweifelten beim Abstieg in eine Psychose zu – oder stimmte in dieser Klinik was nicht?
Bis hin zum Schluss-Twist fragen wir uns folgerichtig, was wir denn nun glauben wollen. Faszinierend.
The heart is a muscle | Südafrika/Saudi-Arabien, Regie: Imran Hamdulay
Wenn ich schon einen Tag später nachdenken muss, wie sich diese Story anfänglich entfaltet, so ist es leider nicht dem Bilderrausch von bisher über 15 Filmen geschuldet. Imran Hamdulay versäumt es, in seiner ersten Langfilm Inszenierung und Geschichte zwingend wirken zu lassen.
Was wir erkennen können und begreifen wollen: Ryan ist ein bemühter Familienvater, der jedoch damit kämpft, bei Zornesanfällen nicht in körperliche Gewalt zu verfallen – nicht nur bei seinem 5jährigen Sohn Jude. Dazu belastet ihn eine nebulös gelassene Familienvergangenheit. Vermuten wir. Wie er im Filmbeginn seinen Vater( ?) in der Ruine seines Elternhauses trifft, schon das überzeugt nicht so recht.
Ryans Bruder, so wird später in einer holprigen Kolportage-Szene deklamiert, ist für ihn in der Jugend einst nach einer gemeinsamen Straftat eingefahren. Ryan, wäre im Knast umgekommen – so sein Bruder. Wenn rausgekommen wäre, WER ihr Vater ist. Das müssen wir uns, wiederum, selbst denken.
Als Ryans Sohn Jude bei einem Versteckspiel verschwindet, führt die Suche der Familie und Freunde auch in ein weniger gut gestellte Viertel. Aufgrund eines Missverständnisses verprügelt Ryan jemand, der sich als ehemaliger Schulkamerad heraus stellte. Ryan will ihm, der mit eigenem Sohn kaum über die Runden kommt, nach später Einsicht etwas Gutes tun. Schießt dabei jedoch über das Ziel heraus.

Der Film hat seine Momente. Doch so manches wirkt behauptet statt plausibel. Dass es offensichtlich nicht gelang ein schlüssiges Ende zu schreiben beziehungsweise zu inszenieren, tut ein Übriges. Ich will zugute halten, dass Kenntnis der sozio-kulturellen Zusammenhänge von Kapstadt vielleicht geholfen hätten. “Heart is a muscle” hält sich allerdings auch hier für Nicht-Insider bedeckt.
Für einen Kurzfilm wäre dies Anliegen etwas viel gewesen, für die Langstrecke ist dieser Muskel offenbar noch nicht genug trainiert.
The thing with feathers | Vereintes Königreich, Regie: Dylan Southern
Man geht ja nicht gänzlich uninformiert ins Kino, nichtmal auf der Berlinale. Bei dem Thema Verlust und seiner Verarbeitung, meint man die möglichen Ansätze filmischer Umsetzung zu ahnen. Wie “The thing with feathers” es dann machte, das berührte trotz einiger Konventionen doch mehr und anders als erwartet.
Die beiden jungen Söhne kommen zunächst vorgeblich gut klar. Es ist vor allem der (vom Skript unbenannte) Witwer, der den Verlust der Liebe seines Lebens nicht verwinden kann. In den ersten Tagen, Wochen und Monate, die wir ihn begleiten gelingt ihm das nicht einmal ansatzweise. Er versucht gar nicht erst seinem Bruder, seinem Verleger, gut meinenden Freunden und Therapeuten etwas vor zu machen. Der Schmerz, die Trauer sucht ihn fortwährend heim, seine Arbeit als graphischer Künstler ist ihm ein Ventil, dann ein Kanal für düstere Visionen.
In der ersten Hälfte des Filmes wähnt man sich noch in gothic Horror, den Regisseur Dylan Southern hier in einer Finte entspinnt. Immer wieder kommt um das Haus, später sogar eindringend ein Rabe ins Bild, der scheinbar an Edgar Allan Poe gemahnt. Ohne zuviel zu verraten, manifestiert sich diese Figur bald in bizarr gesteigerter, fantastischer Form. Ein Gegner – oder ein Verbündeter?

Regisseur und Autor Dylan Southern widersteht, das emotionale Leiden durch rührige Rückblenden zu rechtfertigen und verlässt sich zurecht auf Benedict Cumberbatch gewohnt einnehmende Darstellung.
“The Thing with Feathers” vermittelt in bewegender Weise, wie sich Trauer und ihre unüberwindliche scheinende Bewältigung ins Weiter-Leben drängen. Später muss der Vater sich sagen lassen: “We need to talk about the difference between grief – and despair”
Das ist sicher nichts für jeden, für Feinde von Fantasy erst recht nicht. Und womöglich bewegt es umso mehr, wenn man schonmal vor dieser Aufgabe stand. Jemand zwei Plätze weiter brummte zur Freundin, “one of the worst this year”. Nun, für mich lag es genau umgekehrt. Auch wenn etwas verklärende Überhöhung nicht zu leugnen ist, a la ein Künstler muss sich in seinem Werk erlösen.
Was nicht zu leugnen ist, im -sozusagen- Showdown mangelt es vielleicht an Maß und Mäßigung. Und in der Zielgeraden kommt es dann auch noch zu einigen needle-drop Momenten, die vielleicht nicht hätten sein müssen. Doch einen Song, wie Vic Chestnutts “Flirted with you all my life” verpassen, wenn er -wie hier- einhundert Prozent passt?